Kaum ist das Grillgut aufgetaut und der Rost heiß, kommt aus irgendeiner Ecke jemand mit dem altbewährten Warnruf: „Jetzt bloß nicht vorher salzen – das zieht doch die ganze Feuchtigkeit raus!“ Ein Satz, der so sicher kommt wie die T-Shirts mit der Aufschrift „Bier formte diesen wunderschönen Körper“ am Ballermann, und ebenso schwer loszuwerden. Doch wie so oft, wenn Küchentradition auf Physik trifft, bleibt von der alten Weisheit am Ende meist nur heiße Luft. Und die hat man beim Grillen ja noch gern. Eigentlich ist es Folklore. Sonst nix.
Dry Brining ist angesagt
Ja – Salz zieht Wasser. Das ist seine Natur. Es ist „hygroskopisch“, also feuchtigkeitsliebend. Aber was viele nicht wissen: Dieser Effekt ist nicht das Ende der Geschichte, sondern nur der Anfang eines ziemlich cleveren physikalischen Tricks, der sich Dry Brining nennt. Dabei salzt man das Fleisch – trocken, ohne Marinade – und lässt es für eine gewisse Zeit ruhen. Was passiert? Zunächst sammelt sich Feuchtigkeit auf der Oberfläche. Dann löst sich das Salz darin auf und zieht als salzige Lake wieder langsam in das Fleisch ein. Und dabei nimmt es nicht nur sich selbst mit, sondern auch Geschmack. Es ist eine Art natürlicher Rückfluss – Salz raus, Geschmack rein, Saftigkeit inklusive. Was sich wie Zauberei anhört, ist schlicht Osmose. Sie wissen schon, das mit dem Sie der Bio-Lehrer in der Schule so genervt hat. Nicht fancy, funktioniert aber.
Während viele also aus Angst vor Austrocknung auf das Würzen verzichten, oder es erst nach dem Grillen wagen, verschenken sie damit eine Chance: Die auf eine gleichmäßig gewürzte Fleischstruktur, mehr Aroma und eine prima Kruste. Denn genau die wird durch das Dry Brining sogar verbessert – die Oberfläche wird trockener, das Fleisch karamellisiert besser, und die Maillard-Reaktion läuft auf Hochtouren.
Entscheidend ist nur: richtiges Timing. Wer salzt und sofort grillt, ist auf der sicheren Seite, erreicht aber nichts. Wer salzt und dann das Fleisch einfach 10–15 Minuten herumliegen lässt, bekommt eine Pfütze auf dem Fleisch – und später eine gedämpfte statt gebratene Textur. Deshalb: entweder direkt grillen oder das Fleisch mindestens 30–60 Minuten ruhen lassen, je nach Dicke sogar über Nacht im Kühlschrank. Und ganz wichtig – legen Sie sich einen kleinen Rost zu, den Sie in die Schale legen können. Denn um ihr Fleisch sollte die Luft gut zirkulieren können.
Das Ergebnis ist jedes Mal verblüffend: saftig, würzig, außen knusprig, innen zart. Der Grill- und Kochmythos vom austrocknenden Salz ist damit entlarvt – als das, was er ist: Unsinn. Wer es einmal ausprobiert hat, wird nie wieder anders grillen.
Nicht sparsam sein
Denn Salz ist nicht der Feind des Fleisches. Es ist sein Verbündeter – man muss es nur richtig behandeln. Und noch ein kleiner Tipp: Während unser ehemaliger Gesundheitsminister nicht müde wurde, vor dem Verzehr von Salz zu warnen – salzen Sie ihr Fleisch ordentlich. Ich empfehle dazu frisch gemahlenen Pfeffer und Knoblauchpulver (ja Pulver – eignet sich prima zum Aufpeppen von Rindfleisch). Die meisten Menschen würzen zu wenig, nicht zu viel. Sparen Sie das Salz gerne an anderer Stelle ein. Denn es ist ja nicht verkehrt. Die meisten von uns nehmen zu viel Salz zu sich. Aber wenn Sie sich ein Steak gönnen, ist nicht der richtige Zeitpunkt zum Verzicht.