Über sieben Prozent der Erwachsenen in Deutschland sind Diabetiker. Nicht ohne Grund spricht man häufig von einer Volkskrankheit. Dazu kommen rund zwei Prozent, die gar nichts von ihrer Erkrankung wissen, vermuten Experten. Auch deshalb ist die Aufklärung hier so wichtig. Der Weltdiabetestag am 14. November soll auf die steigende Verbreitung der Erkrankung aufmerksam machen. Dr. med. Nicole Weh, Oberärztin der Klinik für Innere Medizin und Fachärztin für Diabetologie (DDG) am Schwarzwald-Baar-Klinikum, erklärt im Gespräch, welche Symptome Anzeichen für Diabetes sein können, wie sich die Therapie entwickelt hat und warum Diabetes längst nicht mehr zu den „Alterskrankheiten“ zählt.

Dr. med. Nicole Weh, Oberärztin der Klinik für Innere Medizin und Fachärztin für Diabetologie (DDG) am Schwarzwald-Baar-Klinikum.
Dr. med. Nicole Weh, Oberärztin der Klinik für Innere Medizin und Fachärztin für Diabetologie (DDG) am Schwarzwald-Baar-Klinikum. Bild: Sbk

Was ist eigentlich Diabetes?

Dr. Nicole Weh: Diabetes als solches ist eigentlich nur ein Sammelbegriff für alle Störungen des Stoffwechsels mit dem Merkmal: deutlich zu hoher Blutzucker. Wir sagen Hyperglykämie dazu. Und die entscheidende Rolle für diese Stoffwechsel-Entgleisung spielt das Insulin. Ein körpereigener Stoff, der aus der Bauchspeicheldrüse freigesetzt wird.

Was passiert da im Körper?

Man hat entweder eine gestörte Insulinfreisetzung bzw. eine gestörte Insulinwirkung – das ist, was man als Insulinresistenz bezeichnet. Das heißt das Insulin wirkt nicht richtig und der Blutzucker kann nicht richtig verarbeitet werden. Oder die Bauchspeicheldrüse setzt zu wenig oder gar kein Insulin frei. Hier gibt es nun unterschiedliche Kombinationen und so unterschiedliche Arten von Diabetes.

Oft spricht man von Typ 1 oder Typ 2 Diabetes. Was ist der Unterschied?

Beim Typ 1, der sehr viel seltener vorkommt, produziert der Körper kein oder nur sehr wenig Insulin. Das ist eine Autoimmunerkrankung, die durch Antikörper nachgewiesen werden kann. Meist handelt es sich um Typ 2, also die Insulinresistenz. Hier wirkt das Insulin nicht mehr richtig. Der klassische Patient ist übergewichtig, oft gibt es auch eine Fettstoffwechselstörung und hohen Blutdruck. Das ist alles miteinander gekoppelt. Diese verschiedenen Kombinationen und Grade machen den Diabetes sehr komplex. Deshalb sind auch die Behandlungsmethoden ganz verschieden.

Wie sehen diese Behandlungsmethoden aus?

Heute versucht man, das Insulin ganz hinten anzustellen und behandelt erstmal mit Tabletten – also Metformin. Das ist ein Standard. Außerdem gibt es mittlerweile noch andere moderne Substanzen auf dem Markt. Gerade am Anfang oder wenn es sich um eine Vorstufe von Diabetes handelt, kann auch eine Ernährungsumstellung helfen. Meist in Kombination mit Tabletten in einer ganz niedrigen Dosierung.

Und wenn das alles nicht hilft?

Dann muss Insulin gespritzt werden. Beim Typ 1 Diabetes sowieso. Da die Patienten kein eigenes Insulin produzieren, müssen sie es von außen bekommen.

Viele Menschen leben Jahrzehnte mit Diabetes. Ist die Krankheit also gar nicht so gefährlich?

Nicht wenn die Patienten gut eingestellt sind. Die meisten nehmen die Erkrankung nicht ganz so ernst. Dabei sehen wir sehr viele Folgeerkrankungen. Wir stellen zum Beispiel bei vielen Patienten mit einer Herzkrankheit fest, dass sie Diabetiker sind. Viele wussten das vorher gar nicht.

Was gibt es noch für Folgeerkrankungen?

Herzinsuffizienz oder koronale Herzerkrankung, Nierenschädigung bis zur Dialyse, Schlaganfall, Durchblutungsstörungen an den Beinen, Augenschädigung und Diabetisches Fußsyndrom. Störungen der Nervenleitbahnen, die sogenannte Neuropathie. Die Patienten haben oft brennende Beine. Das ist schmerzhaft und leider auch nicht gut zu behandeln.

Warum sind in Deutschland so viele Menschen davon betroffen?

Das hängt mit den Ursachen zusammen.

Und die sind?

Vor allem Übergewicht und mangelnde Bewegung. Das ist auch die Gründe, warum Patienten in jungem Alter erkranken. Und das werden immer mehr.

Wir sprechen bei Diabetes also nicht von einer „Alterskrankheit“?

Nein, nicht mehr.

Das heißt, die Lebensweise unserer Gesellschaft ist schuld?

Ja. Das sieht man bei anderen Ländern, die auf die westliche Ernährung, vor allem auf Fast Food, umstellen. Gerade die arabischen Länder haben dramatische Zunahmen von Diabetes-Patienten. Und auch in asiatischen und afrikanischen Ländern, die das Problem bislang gar nicht hatten, steigen die Zahlen. Das ist ein weltweites Problem.

Ist Diabetes erblich bedingt?

Es scheint schon genetische Aspekte zu geben. Nur gibt es nicht das eine Gen, das Diabetes auslöst. Aber es gibt schon die Veranlagung dazu.

Das Leitsymptom ist vermehrtes Durstgefühl
Dr. med. Nicole Weh

Welche Symptome deuten auf eine Erkrankung hin?

Das Leitsymptom ist ein vermehrtes Durstgefühl. Die Betroffenen trinken plötzlich fünf oder sechs Flaschen Mineralwasser und müssen dann häufig auf die Toilette zum Wasser lassen. Dann kann es auch zu einer Gewichtsabnahme kommen, weil durch den Urin auch Zucker ausgeschieden wird, und damit verlieren die Patienten auch Kalorien.

Wie kann man sich vor Diabetes schützen?

Mit regelmäßiger Bewegung, zum Beispiel öfter mal einem Spaziergang, Nordic Walking oder sonst Sport, der einem Spaß macht. Und natürlich gesunder Ernährung. Also viel Gemüse und Ballaststoffe. Die halten auch lange satt und der Zucker wird langsamer ins Blut aufgenommen. Wichtig ist vor allem, dass man versucht, Übergewicht zu reduzieren.

Und dass man auf Zucker verzichtet, oder?

Es ist nicht entscheidend, dass man den Zucker weglässt. Wichtig ist, dass man abnimmt. Wie, ist eigentlich egal. Man sollte schon ein bisschen zurückhaltend sein mit dem Zucker. Aber es ist niemandem verboten, am Wochenende mal ein Stück Kuchen zu essen oder zwischendurch etwas zu naschen. Es gibt ältere Leute, die schwer krank sind, und sich nicht mal mehr ein Stück Schokolade gönnen. Das muss nicht sein. Da muss man immer abwägen: Was brauche ich? Was genieße ich? Auch das sollte man versuchen, mit in die Ernährung einzubringen.

Was hat es mit Schwangerschaftsdiabetes auf sich?

Jeder erhöhte Blutzucker in der Schwangerschaft wird erstmal als Schwangerschaftsdiabetes bezeichnet. Das Problem ist, dass der Körper in der Schwangerschaft auch die Hormonumstellung durchmacht. Dadurch wirkt auch das Insulin schlechter. Und es gibt viele Schwangere, die erhöhte Blutzuckerwerte bekommen. Das ist für Mutter und Kind nicht gut. Betroffen sind vor allem Frauen, die älter oder übergewichtig sind. Aber auch Frauen, die schon ein Kind bekommen haben, das sehr groß war. Mit der Geburt verschwindet der Diabetes aber wieder schlagartig. Was bleibt ist, dass diese Frauen ihr Leben lang ein erhöhtes Risiko für einen Typ 2 Diabetes haben.

Bei 4,6 Millionen Diabetikern in Deutschland gibt es bestimmt auch eine große Zahl an unentdeckten Fällen. Wie hoch ist die Dunkelziffer?

Man schätzt sie liegt bei zwei Prozent der Bevölkerung. Und man geht davon aus, dass sich der Diabetes noch stärker verbreitet. Durch Corona sind viele Bewegungsangebote ausgefallen, die Menschen waren zu Hause. Gerade bei den Jugendlichen sehen wir hier eine gefährliche Entwicklung. Viele haben Übergewicht.

Was können wir tun, um die Zahl an Diabetes-Erkrankungen zu verringern?

Auf eine ausgewogene Ernährung achten und viel bewegen. Und bei Verdacht regelmäßig beim Hausarzt die Blutwerte checken lassen.