Die Katakomben von Odessa sind ein beeindruckendes Tunnelnetz, das sich über mehr als 2500 Kilometer unter der Stadt und ihren Vorstädten erstreckt. Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dort Kalkstein abgebaut, der zum Bau der Stadt verwendet wurde. Wenn man bedenkt, dass die berühmten Pariser Katakomben gerade einmal 500 Kilometer lang sind und die römischen Katakomben 170 Kilometer, kann man sich ungefähr die Größe und die Bedeutung vorstellen.
Surreales Labyrinth
Dieses surreale Labyrinth entstand ursprünglich durch spontanen Abbau von Muschelgestein für den Bau der Stadt Odessa. Sie wurde 1794 gegründet und konnte nach 120 Jahren 600.000 offizielle Einwohner aufnehmen. Das Wachstum war aber damals schon deutlich größer, so dass es einen riesigen Bedarf an Baumaterialien gab. So kam es, dass man unter der Erde nach geeignetem Material gesucht und auch gefunden hat. So konnte Auch Odessa danach deutlich schneller wachsen.

Bis zum 24. Februar in diesem Jahr dienten die Katakomben ausschließlich zu Freizeitzwecken und historischen Führungen. Doch dann begannen die Russen, die Ukraine militärisch anzugreifen. Nach dieser umfassenden Invasion wurde umgehend damit begonnen, die Katakomben als Schutzräume eizurichten.
Katakomben-Enthusiast
Aleksandr ist ein Freiwilliger und Katakomben-Enthusiast. Er arbeitete bis zum Kriegsbeginn als Führer und zeigte das unterirdische Labyrinth vielen Besuchern und Gästen der Stadt Odessa. Jetzt hat er zusammen mit Gleichgesinnten, die in der Nähe wohnen, einen Teil der Katakomben in Luftschutzbunker verwandelt. Aus Sicherheitsgründen wird der genaue Ort und der Eingang an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Und auch der Name des Initiators ist geändert.
Abbau von Baustoff
„Die Katakomben sind die Überreste des alten Meeres“, erklärt Aleksandr. „Es dauerte Millionen von Jahren, bis sich die Schalen kleiner Meeresbewohner in Kalkstein verwandelten.“ Wer schon einmal in Odessa war, weiß, dass genau dieser Baustoff dort sehr viel zum Bauen verwendet wurde. Deshalb entstand ein derart riesiges unterirdisches Netz.

„Nach dem Zweiten Weltkrieg bauten die sowjetischen Behörden in einem Teil der Katakomben einen Bunker, in dem rund 1200 Menschen untergebracht werden konnten“, erzählt Aleksandr weiter. „Dieser war so konzipiert, dass er sogar einem Atomschlag hätte standhalten können.“ Der Bunker war für die hochrangigen Funktionäre der Kommunistischen Partei gedacht. Beim Bau wurde sogar eine Wasserversorgung und eine Klimaanlage installiert.
Bis zu 40 Meter tief
Teile dieses Bunkers sind jetzt vom unterirdischen Wasser überflutet. Die Klimaanlage funktioniert auch nicht mehr, da sie von Plünderern zerlegt wurde, die es auf Altmetall abgesehen haben. Aber die Katakomben sind immer noch da, befinden sich zwischen 30 und 40 Meter unter der Erde und können immer noch sehr gut als Luftschutzbunker dienen.
„Wir haben Wasser und Matratzen mitgebracht und haben dafür gesorgt, dass es Strom und Internet gibt“, berichtet Aleksandr. „Wenn der Fliegeralarm ausgelöst wird, kommen jedes Mal zahlreiche Einheimische und suchen Schutz.“ Da aktuell sehr häufig der Fliegeralarm ausgelöst wird, kommen die Menschen sehr häufig. Seit Beginn des Krieges im Februar gab es allein in Odessa mehr als 300 Luftangriffe.
Zuflucht bei Fliegeralarm
Wenn die Sirenen heulen, kommen in der Regel etwa 40 Personen, die in den alten Labyrinthen Schutz suchen und sie als Luftschutzbunker nutzen. „Es ist schön, dass dieses Angebot genutzt wird“, freut sich Aleksandr. „Wir hätten auch noch Platz für deutlich mehr, wenn es notwendig wird.“ Allerdings ist es kein Zuckerschlecken, sich dort aufzuhalten, denn in den Katakomben beträgt die Temperatur konstant 13 bis 15 Grad Celsius. Außerdem ist es ziemlich luftfeucht, so dass es eine beträchtliche Pilzentwicklung gibt. Das verleiht den Räumlichkeiten durchaus eine apokalyptische Note. Vielleicht ist es aber auch ein Zeichen, was passieren kann, wenn die Menschheit nicht zur Besinnung kommt.