Herr Bumiller, Ende des Spätmittelalters herrschte in der Bevölkerung „Endzeitstimmung“. Die Menschen waren hochgradig sensibilisiert für alles, was auf eine „Zeitenwende“ hinzuweisen schien. Das erinnert ein wenig an heutige Zeiten…
Casimir Bumiller: Die Zeit um 1500 wird in der Geschichtswissenschaft immer wieder mit der aktuellen Epoche zu Anfang des 21. Jahrhunderts verglichen. Das hat mit der rasanten wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung zu tun, die damals wie heute mit sozialen Verwerfungen einherging und bei den Menschen Ängste und Sorgen auslöste. Viele Wissenschaftler und Astrologen veröffentlichten damals Traktate, die auf bevorstehende Katastrophen hinwiesen. Leonhard Reymans ‚Practica‘ sagte für das Jahr 1524 sintflutartige Regenfälle und eine Bauernerhebung voraus.
Welche Rolle spielten damals neue Medien wie illustrierte Flugblätter?
In der frühen Zeit des Buchdrucks spielten tatsächlich astrologisch-prognostische Schriften eine große Rolle. Wichtiger wurde auf dem Büchermarkt seit 1517 die von Wittenberg ausgehende Reformation. Martin Luthers Schriften machten einen Großteil der Buchproduktion in den 20er- Jahren des 16. Jahrhunderts aus. Und bekanntlich hatte die Reformation einen bedeutenden Einfluss auf den Bauernkrieg. Auch die aufständischen Bauern lernten rasch, die neuen Medien zu nutzen. Die ‚Zwölf Artikel‘ mit ihren Hauptforderungen und die ‚Memminger Bundesordnung‘ überschwemmten ab März 1525 in unzähligen Drucken das gesamte Reich.
Warum wurde der Hegau 1524/25 zu einem Zentrum des Aufstandes gegen die Obrigkeit?
Der Hegau zählte mit seiner Erhebung auf der Hilzinger Kirchweih am 2. Oktober 1524 zu den frühen Zentren des Bauernkriegs. Lange Zeit wurden die Hegauer jedoch als Anhängsel der Schwarzwälder Bauernhaufen gesehen. Ich konnte in meinen Forschungen zum Bauernkrieg den Hegau als eigenständige revolutionäre Bewegung herausarbeiten. Zwar war die Region von Oberschwaben und von Stühlingen her beeinflusst, doch hatten die Hegauer Bauern mit ihren adligen Herren ihre eigenen Hühnchen zu rupfen. Eine gewisse Rolle spielte auch, dass im Hegau im Juni 1524 – quasi in Erfüllung obiger Voraussagen – sintflutartige Regenfälle die Ernte zerstörten.

Welche zentralen Forderungen hatten die Bauern?
Die Bauern beklagten ungerechte Besteuerung sowie willkürliche Behandlung bei Strafen und Rechtsfällen. Sie forderten freien Zugang zu Wasser, Wald und Wild. Die Zehntabgaben wurden als belastend empfunden. Die zentralen Forderungen zielten jedoch auf die Überwindung der feudalen Untertänigkeit, auf die Abschaffung von Frondiensten und Leibeigenschaft. Unter den ‚Zwölf Artikeln; stand die Forderung nach der freien Wahl des Pfarrers, der das reine Gotteswort verkünden sollte, obenan – unverkennbar ein Einfluss der Reformation.
Und was wurde aus diesen Forderungen?
Nach der blutigen Niederschlagung des Bauernkriegs, der den Siegern einen „Diktatfrieden“ ermöglichte, konnten die Bauern praktisch nichts von ihren Forderungen durchsetzen.
Welche Rolle spielte Überlingen während des Bauernkrieges?
Nachdem sie reformatorische Bestrebungen früh unterdrückt hatte, musste sich die Reichsstadt Überlingen nach zwei Seiten gegen die Aufrührer erwehren: im Osten und Norden gegen die Seebauern, im Westen gegen die Hegauer. Überlingen war sowohl auf diplomatischem Feld wie auch militärisch an der Bekämpfung des Aufruhrs beteiligt.
Am 10. Oktober 1524 brachte die Stadt durch Vermittlung des Bürgermeisters Hans Freiburger einen Waffenstillstand zwischen den aufständischen Hegauern und ihren Herren zustande. Im Juli 1525 beteiligte sie sich mit 2000 Mann an der Niederschlagung des Aufruhrs bei Radolfzell, Steißlingen und Hilzingen.
Der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen. Welche Auswirkungen hatte das auf den Bauernstand?
Da der Feldhauptmann Mark Sittich von Ems gemeinsam mit den Überlingern die Hegauer Bauern vollständig besiegt hatte, konnte er die Bedingungen diktieren: schwere Bestrafung aller Beteiligten, Niederlegung der Waffen, Abgabe der Glocken (mit denen man Sturm geläutet hatte), Huldigung an die alten Herren, Rückkehr in die feudale Untertänigkeit für beinahe 300 weitere Jahre.
Warum ist der größte Volksaufstand in Westeuropa vor der Französischen Revolution fast in Vergessenheit geraten?
In der Geschichtswissenschaft hat der Bauernkrieg einen hohen Rang. Mag sein, dass es der Wissenschaft nicht gelungen ist, dieses bedeutende Ereignis aus einer dunklen Vergangenheit einem breiteren Publikum zu vermitteln. Umso wichtiger erscheint es, den Menschen in diesen denkwürdigen Zeiten in Erinnerung zu rufen, dass ihre Vorfahren im Jahr 1525, lange vor der Französischen Revolution, erstmals – vergeblich – versucht haben, die Vision einer republikanischen verfassten Gesellschaft zu realisieren.⇒
Die Fragen stellte Ralf Baumann
Vortrag in Überlingen
Der freischaffende Historiker Dr. Casimir Bumiller ist Autor des Buchs „Der Bauernkrieg im Hegau 1524/25 – Rekonstruktion einer revolutionären Bewegung“ (Gmeiner Verlag). Am Mittwoch, 7. Mai, 19 Uhr, hält Dr. Casimir Bumiller im Stadtmuseum Überlingen den Vortrag „Die Rolle der Reichsstadt Überlingen im Bauernkrieg in Bezug auf den Hegau“.Weitere Termine
Donnerstag, 15. Mai, 19 Uhr;
Dr. Eveline Dargel: „Denkmale, Schauplätze und Orte des Erinnerns an den Bauernkrieg im Bodenseekreis – Eine Spurensuche“, Historische Bibliothek Schloss Salem, Salem
Sonntag, 18. Mai, 19.30 Uhr; Scherer-Ensemble: „das wir frey seyen und woellen sein“ (Gesprächskonzert), Historische Bibliothek Schloss Salem, Salem (im Rahmen des Bodenseefestivals, Eintritt 10 Euro)
Freitag, 23. Mai, 18 Uhr; Jürgen Oellers: „Der Ailinger Haufen“, Stadtarchiv, Friedrichshafen
Dienstag, 27. Mai, 19 Uhr;
Dr. Peer Frieß: „ohne alle Barmherzigkeit? Überlingens Weg durch die Krise des Jahres 1525“, Stadtmuseum Überlingen
Donnerstag, 5. Juni, 19.30 Uhr; Dr. h.c. Elmar L. Kuhn: „Der Bauernkrieg am Bodensee“, Historische Bibliothek Schloss Salem, Salem (im Rahmen des Bodenseefestivals)
Dienstag, 12. November, 19 Uhr: Oswald Burger: „Johannes Hüglin, Sündenbock des Bauernkriegs“, Vineum, Meersburg