Frau Bortfeldt, wie haben Sie festgestellt, dass der Bedarf an neuen Wohnformen steigt?

Annette Bortfeld: Wir wurden vermehrt auf die Wohnform angesprochen, wahrscheinlich weil es das Angebot von ambulant betreuten Wohngemeinschaften schon seit einigen Jahren in Deutschland gibt und in der Presse vorgestellt wurde. Es hat sich außerdem gezeigt, dass es eine Lücke zwischen der häuslichen Pflege und der stationären Pflege gibt. Und schließlich wurden nun die rechtlichen Bedingungen für die ambulant betreuten Wohngemeinschaften geschaffen.

An wen wendet sich das Angebot?

Unser Angebot richtet sich an Personen, die sich eine familienähnliche Struktur wünschen und an jene mit Hilfe- und Pflegebedarf, die in einer kleinen Wohneinheit in der Gemeinschaft leben möchten und über ihren Unterstützungsbedarf noch weitgehend selbst entscheiden wollen.

Was muss ich erfüllen, um in eine solche Wohnform einziehen zu können?

Zunächst ist die Bereitschaft ganz wichtig, in der Gemeinschaft leben zu wollen. Die Person sollte einigermaßen selbstständig sein können. Die WGs sind so konzipiert, dass die Bewohnerinnen und Bewohner einen Pflegegrad aufweisen. Und es gilt das sogenannte „Prinzip der geteilten Verantwortung“. Angehörige oder Betreuende sollten sich nach eigenen Möglichkeiten engagieren. Sie sollten sich als Partner der Einrichtung verstehen und beim Einzug ihres Angehörigen, bei der Eingewöhnung und bei der Gestaltung des Alltags unterstützen.

Was ist der Unterschied zum Seniorenheim?

Unsere WGs entsprechen eher einem Privathaushalt und sind Einheiten mit bis zu acht Bewohnerinnen und Bewohner. In den WGs können zudem die Angehörigen den Alltag mitgestalten. Ganz wichtig: Die Menschen mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen sollen so eigenständig und selbstbestimmt wie möglich, gleichzeitig familiär und alltagsnah, leben dürfen. Sie werden durch die rund-um-die-Uhr anwesenden Alltagsbegleiter unterstützt und können ihren Vorlieben und Wünschen nachgehen, beispielsweise beim gemeinsamen Kochen und Zubereiten der Speisen. Ein Ziel ist es, vorhandene Fähigkeiten durch die Einbindung in alltägliche Aufgaben zu erhalten und zu fördern. Außerdem werden physische und kognitive Ressourcen der Einzelnen intensiver gefördert. Und nicht zuletzt vermitteln diese Wohngemeinschaften Sicherheit und Geborgenheit.

Wie läuft die Betreuung ab im Gegensatz zum stationären Bereich?

Die Alltagsbetreuung ist getrennt von der pflegerischen Betreuung. Ein ambulanter Pflegedienst kommt in die WGs und übernimmt die Grund- und Behandlungspflege.

Was sind Alltagsbegleiter?

Alltagsbegleiter haben unterschiedliche berufliche Qualifikationen, meistens mit einem hauswirtschaftlichen oder sozialen Hintergrund. Wir haben sie zusätzlich in Fokus auf die Krankheit Demenz geschult. Sie übernehmen Haushaltsleistungen, vermitteln eine Tagesstruktur und unterstützen bei allen Aktivitäten des Alltags.

Gibt es weitere Vorteile? Einsamkeit/Fortschreitende Demenz

Ein großer Vorteil einer solchen Wohngemeinschaft ist die kleine Einheit. So kann gut auf die Bedürfnisse der Personen eingegangen werden. Ein wichtiges Thema unserer Zeit ist die Alterseinsamkeit. Eine Vereinsamung, die eventuell in der eigenen Häuslichkeit entstehen kann, wird mit dieser Wohnform vorgebeugt.

Sie sprechen die Demenz an, gibt es spezielle Gemeinschaften für diese Menschen?

Unsere Wohngemeinschaft „Talgartenstrasse“ im Stadtteil Paradies ist speziell für Menschen mit Demenz konzipiert. Hier sind wir übrigens dankbar, dass uns der Altenhilfeverein finanziell mit einer großen Spende unterstützt hat. Dies ermöglichte die Umsetzung des Projektes.

Wie lange leben die Bewohner in den Wohngemeinschaften und wer legt fest, dass es Zeit für eine Veränderung wird?

Wenn der körperliche und geistige Zustand es erlaubt, sollen die Bewohnerinnen und Bewohner bis an das Lebensende in der Wohngemeinschaft bleiben können. Veränderungen, wie Ein- und Auszüge treffen wir in Abstimmung mit dem Bewohner- und Angehörigengremium.

Sind Sie der einzige Träger, der solche Wohnformen in Konstanz anbietet?

Nein, es gibt noch weitere Wohngemeinschaften.

Wie läuft es mit der Finanzierung? Wird das gefördert?

Ja, diese Art des Lebens im Alter wird gefördert, das wissen viele nicht. Bei Bedarf werden Leistungen durch den Sozialhilfeträger getragen. Pflegeleistungen werden durch Ansprüche nach der gesetzlichen Pflege- und Krankenversicherung gefördert. Die Kosten setzen sich zusammen aus Miete, Betreuungsleistungen, Haushaltsgeld, oder Pflegeleistungen durch den Ambulanten Dienst (Pflegesachleistungen und Behandlungspflege). Bewohnerinnen, Bewohner einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft erhalten auf Antrag einen Wohngruppenzuschlag von der Pflegekasse.

Ich/wir sind interessiert. Wie läuft das ab?

Am besten wenden sich Interessierte an mich. Wir besprechen dann gemeinsam, ob diese Wohnform den Vorstellungen entspricht. Wenn die Wohngemeinschaft in Frage kommt, bieten wir einen Besuch an sowie einen Kontakt mit einer Vertretung aus dem Angehörigengremium. Im Einzelfall kommt auch ein „Schnupperwochen- ende“ in Frage, sofern ein Zimmer frei ist. Wenn sich alle einen Einzug vorstellen können und die finanziellen Fragen geklärt sind, kann über einen Einzug entschieden werden.

Die Fragen stellte Dieter Pilz