Friedrich Hecker war für seine „revolutionären“ Kleidungsstil berühmt. Ein Zeitzeuge schrieb über den Aufbruch des Heckerzugs auf der Marktstätte am 13. April 1848: „Blaue Blouse, `Heckerhut`, große Pistolen im Gürtel und Säbel an der Seite ließen den Chef der Insurrektion (Volkserhebung) und Oberkommandanten sogleich erkennen.“ Und im Herder-Lexikon war über den Hecker-Look zu lesen: „Blaue Blus, Fuhrmannskittel, leinenes und baumwollenes Überhemd“. Woher kam dieser Kleidungsstil? Und was sagt er uns heute? Anlässlich der Ausstellung „Jetzt machen wir Republik! – Die Revolution von 1848/49 in Baden“ erklärt Tobias Engelsing, Direktor der Städtischen Museen, im Anzeiger-Interview, was es mit Friedrich Heckers Look auf sich hat.

Herr Engelsing, ist bekannt, warum Friedrich Hecker sich diesen Look zulegte?

Tobias Engelsing: Das, was wir heute als die typische Kluft der Revolutionäre von 1848/49 kennen, hat Friedrich Hecker nicht erfunden: Der blaue Fuhrmannskittel ist ursprünglich die Arbeitskleidung französischer Arbeiter. Bereits in den Revolutionen von 1830 in Belgien und im Februar 1848 in Frankreich taucht diese blaue „Blouse“ als Kennzeichen der aufständischen Massen auf.

Dieser Schwarz-Weiß-Stich von1848 zeigt den Revolutionär Friedrich Heckerin in zivil. Friedrich Hecker gilt als einer der ersten Kämpfer für die Demokratie in Deutschland.
Dieser Schwarz-Weiß-Stich von1848 zeigt den Revolutionär Friedrich Heckerin in zivil. Friedrich Hecker gilt als einer der ersten Kämpfer für die Demokratie in Deutschland. Bild: Georgios Kollidas/stock.adobe.com

Woher hatte Hecker seine Kluft?

Das ist eine gute Frage: Hatte er als bekannter Landtagsabgeordneter die Bluse, den Calabreserhut und die Stulpenstiefel schon an, als er im nasskalten April 1848 von Frankfurt über die Schweiz nach Konstanz reiste? Eher nicht, denn das wäre aufgefallen. Vermutlich wurde er in Konstanz revolutionär eingekleidet. Man müsste mal im Archiv des damals schon bestehenden Herrenausstatters Zwicker nachschauen, ob er 1848 Heckerhüte im Angebot hatte.

Trugen auch die anderen Anführer diese Revolutionstracht?

Die Kombi aus der Bluse mit dem Gürtel um die Taille, breitem Hut und Stulpenstiefel wurden 1848 und 1849 in vielfacher Variation getragen. Neben der deklamatorischen Wirkung hatte das im Gefecht auch den Zweck, die Verbündeten gut zu erkennen. Die Feinde, das waren die Männer in den enganliegenden preußischen und badischen Uniformjacken mit Tschako oder Pickelhaube auf dem Kopf.

Könnte man die Hecker-Uniform auch als „Räuberzivil“ bezeichnen, wie im Militär abwertend das Tragen von Teilen der Uniform gemeinsam mit bürgerlicher Kleidung bezeichnet wird?

Sicher hatten auch die Aufständischen das Bedürfnis, sich kenntlich zu machen, durch ihr teils verwegenes Aussehen aber auch etwas gefährlicher auszusehen. Im Zivilleben waren sie friedliche Abgeordnete, Handwerker und Arbeiter, keine kampferprobten Partisanen. Erst die preußische Propaganda hat aus ihnen blutrünstige Guerilleros gemacht, weshalb sie in der gegnerischen Bildpropaganda immer entweder als verlumpte Unruhestifter oder als gemeingefährliche „Räuberhauptmänner“ dargestellt werden.

Wie kleideten sich die revolutionären Scharen auf dem Heckerzug?

Das war am allerwenigsten eine Frage der Mode: Viele der Teilnehmer des Heckerzuges waren verarmte Handwerker, Tagelöhner, von der herrschenden Wirtschaftskrise gebeutelte Existenzen, die halt anzogen, was sie hatten und was Schutz vor dem Sauwetter im April 1848 bot. Später schlossen sich viele Unzufriedene aus den ländlichen Gegenden an, Männer in Bauerntracht mit breiten Schwarzwälder Hüten und roten Westen.

Revolutionäre Tracht: Gustav von Struve, Friedrich Hecker und Alexander Schimmelpfennig in den blauen Blusen der badischen Revolution von 1848.
Revolutionäre Tracht: Gustav von Struve, Friedrich Hecker und Alexander Schimmelpfennig in den blauen Blusen der badischen Revolution von 1848. Bild: Rosgartenmuseum

Betrachten wir nun die einzelnen Bekleidungsstücke von Kopf bis Fuß: Das berühmteste Kleidungsstück ist der auch heute noch bekannte Heckerhut. Was hat dieser Vorläufer von Maos Mütze und Che Guevaras Baskenmütze zu bedeuten?

Der breitkrempige „Calabreser“ mit dem hohen Stulpen stammt aus Kalabrien und wurde im 19. Jahrhundert von italienischen Freiheitskämpfern getragen, die sich gegen die Habsburger Fremdherrschaft auflehnten. Die Übernahme dieses Huts durch süddeutsche Aufständische ist also ein klarer Fall von kultureller Aneignung.

Hatte der – heute wieder moderne – Vollbart auch eine Bedeutung?

Heinrich Hoffmann, der spätere Autor des „Struwwelpeter“, schreibt damals: „Volksdienst und Rasiermesser sind zwei unverträgliche Dinge“. Daher erkläre sich die „alle Männerkinne plötzlich umwuchernde Bartzucht.“ Wer keinen Bart trug, war ein Spießer, der echte Demokrat zeigte sich männlich wild und naturnah. Auch die aktuelle Bartmode lässt ja die Deutung zu, dass manches Milchgesicht durch Vollbart gefährlicher wirken möchte.

Kommen wir zu Heckers Kragen. Wie kam es, dass der Struwwelpeter, eine der populärsten Gestalten des 19. Jahrhunderts, diesen „Heckerkragen“ trägt?

Der offene „Heckerkragen“ war schon als „Schillerkragen“ bekannt: Er ist ein Erkennungszeichen der nach politischer Freiheit und nationaler Einheit strebenden jungen Generation, in Mode seit etwa 1800. Das offene Hemd signalisiert die provozierende Abkehr vom adligen Jabot und vom ordentlich geschlungenen Halstuch, dem Vorläufer der Krawatte.

In der Sonderausstellung „Jetzt machen wir Republik! Die Revolution von 1848/49 in Baden“ im Kulturzentrum sind in einer Vitrine auch die original Waffen und persönlichen Gegenstände von Friedrich Hecker zu sehen.
In der Sonderausstellung „Jetzt machen wir Republik! Die Revolution von 1848/49 in Baden“ im Kulturzentrum sind in einer Vitrine auch die original Waffen und persönlichen Gegenstände von Friedrich Hecker zu sehen. Bild: Ralf Baumann

Nun zu den Waffen: Zwei große Pistolen im Gürtel, Säbel an der Seite und eine Flinte um die Schulter. Benutzte Hecker diese Waffen auch?

Diese Darstellungen, die entweder idealisieren oder diffamieren sollten, haben Hecker in seiner neuen Heimat, den USA, sehr geärgert. Er, der als junger Mann ziemlich reizbar war und keinem Duell aus dem Weg ging, beteuerte, während des Freischarenzuges niemals Gebrauch von einer Schusswaffe gemacht zu haben. Im US-Bürgerkrieg allerdings trug er wieder Säbel und Pistole und kämpfte auch. Seinen Bürgerkriegs-Säbel und zwei seiner Duellpistolen zeigen wir in der Ausstellung im Kulturzentrum.

Gibt es auch zur Umhängetasche und den Handschuhen etwas zu sagen?

Die Teilnehmer an den Aufständen 1848/49 gehörten ja keiner regulären Armee an, die Nachschubtrains hat und eine Feldküche mitführt, die kämpfende Truppe also aus der Etappe versorgt. Die Männer mussten sich selbst Proviant mitnehmen. Dafür und für Pulver, Flintsteine, Zündhütchen und Verbandsstoff dienten die Umhängetaschen. Die Handschuhe sehen wir bei den wenigen Revolutionären, die ein Pferd hatten: Es sind damals übliche Kavallerie-Handschuhe mit langen Stulpen.

Die Reitstiefel mit Knieschutz und Sporen hinterlassen – abgesehen von den Waffen – den kämpferischsten Eindruck.

Interessanterweise sind diese Stiefel keine militärischen Reitstiefel: Das sind eher grobe Bauernstiefel an die ein hoher lederner Schaft angenäht wurde, damit sie gegen Wasser und Schlamm schützten. Bodenseefischer und Jäger der Wasserjagd trugen damals und noch lange danach solche Stiefel. Sie mussten immer sehr gut mit Walfischtran oder Bieberfett eingeschmiert werden, damit sie dicht blieben.

Auf dem Bild auf dieser Seite sind die revolutionären Farben Schwarz-Rot-Gold nur sehr dezent als Band am Säbel zu sehen? Ist das ein modisches Understatement?

Anfangs schmückten die Aufständischen ihre Hüte mit weißen oder rot gefärbten Hahnenfedern, dann kam mit der Forderung nach Reichseinigung die schwarz-rot-goldene Kokarde dazu. In der badischen Revolution von 1849 dominieren rote Kokarden und Fahnen: Auch frühsozialistische Ideen prägten jetzt Teile der Aufständischen aus ganz Europa. Vergessen wir nicht: Im Januar 1848 erschien auch die 23-seitige Schrift „Das kommunistische Manifest“ von Karl Marx und Friedrich Engels: Neben der Idee der parlamentarischen Demokratie bahnte sich auch diese neue, radikale Weltanschauung ihren Weg.

Ist der Hecker-Look auch Thema in der Sonderausstellung zur 1848er-Revolution?

Wir freuen uns sehr, dass wir eine der ganz wenigen erhaltenen originalen Heckerblusen aus dem Wehrgeschichtlichen Museum Rastatt ausstellen dürfen. Auch ganz seltene Heckerhüte haben wir gefunden. Außerdem hat der Schaffhauser Präparator Marcel Nyffenegger Friedrich Hecker in lebensechter Größe und Aussehen nachgeschaffen, die Gewandschneiderin Anne Woeller hat ihn mit orginalgetreuer Kleidung ausstaffiert. Da steht er nun, der edle Hecker, an dessen demokratischen Aufbruch wir mit Freude erinnern.