Vor zwei Wochen ging das Bild der schallenden Ohrfeige von Will Smith, die er Moderator Chris Rock bei der Oscar-Verleihung verpasst hat, durch die Welt. Deutlich weniger wissen, dass Will Smith sogar noch einen Oscar gewonnen hat. Grund der Ohrfeige war ein Witz von Chris Rock über die Glatze von Jada Pinkett Smith, der Frau von Will Smith. Dass diese aber keineswegs freiwillig ist, soll der Moderator nicht gewusst haben, obwohl sie ganz offensiv damit umgeht, dass sie unter Kreisrunden Haarausfall leidet. Vor allem für Frauen ist das psychisch extrem belastend.

Frau Eisele, können Sie die Reaktion von Will Smith bei der Oscar-Verleihung nachvollziehen?

Auf jeden Fall. Ich wäre wahrscheinlich selbst aufgestanden und hätte ihn zurechtgewiesen. Klar, man muss ja nicht gleich zuschlagen, aber Chris Rock hat keine Ahnung, was er mit so einem Witz anrichtet. Es geht weit mehr als nur um fehlende Haare.

Um was denn?

Wenn die Haare ausfallen, ist das vor allem für Frauen eine immense psychische Belastung. Man ist nur noch mit seinen Haaren beschäftigt und versucht alles, dass niemand merkt, dass man Löcher durch den Haarausfall auf dem Kopf hat.

Aber Jada Pinkett Smith geht doch ganz offensiv damit um, so wie Sie!

Heute ja (lacht), aber glauben Sie mir, bis es so weit war, war es ein wahnsinnig langer, extrem steiniger und vor allem schmerzlicher Weg.

Sie wissen, von was Sie sprechen…

Und ob, ich weiß nicht, ob ich heute so selbstbewusst dastehen würde, wenn ich nicht so einen verständnisvollen Mann, eine so wunderbare Familie und so tolle Freunde hätte. Es sind jede Menge Tränen geflossen – eimerweise.

Wie hat der Kreisrunde Haarausfall bei Ihnen angefangen?

Das erste Mal habe ich es 2013 gemerkt. Damals hatte ich lange Haare und mir fiel auf, dass mir auf der Seite eine ganze Menge Haare fehlten.

Was haben Sie dann gemacht?

Ich bin sofort zum Hautarzt gegangen. Es gab einige Untersuchungen, doch dann kam die Diagnose „Kreisrunder Haarausfall“. Das war natürlich ein Schock, aber damals hatte ich noch Glück, denn die Haare sind tatsächlich wieder nachgewachsen.

Aber es kam erneut?

So ist es. Im Sommerurlaub 2020 entdeckte ich, dass bei mir auf dem Kopf erneut eine Lücke im Haarwuchs ist. Ich ging auch dieses Mal zum Arzt und habe Blutuntersuchungen machen lassen. Letztlich sagte er mir, dass ich mich daran gewöhnen solle, dass ich sehr wahrscheinlich meine Haare verlieren werde.

Gibt es da kein Gegenmittel?

Nicht wirklich. Mir wurde angeboten, das Ganze mit Cortison zu behandeln, aber das war für mich keine Option, da die Nebenwirkungen einfach extrem sind. Aber damit abfinden konnte und wollte ich mich auch nicht. Ich hatte noch die Hoffnung, dass die Haare wie 2013 wieder nachwachsen.

Was haben Sie dann gemacht?

Der ganze Alltag drehte sich um die Haare. Ich habe versucht, mit Haarklammern, Haargummis und allem Möglichen die Lücken zu verdecken, dass es keiner sieht. Wie gesagt, die Situation ist vor allem psychisch extrem belastend – vor allem für Frauen.

Wie ging das dann weiter?

Ich bin immer weniger unter Leute gegangen. Als Lehrerin ist das schon schwierig genug. Es war wahnsinnig, wenn beim Kämmen die Haare büschelweise herausfallen oder beim Zähneputzen auf einmal das ganze Waschbecken voller Haare ist. Ende 2020 konnte ich die Lücken auf dem Kopf einfach nicht mehr verheimlichen.

Was haben Sie dann gemacht?

Ich weiß noch ganz genau, es war im Januar 2021. Ich wollte mich nicht mehr verstecken. Ich bin damals zu meinem Nachbarn gegangen, habe einen Langhaarrasierer ausgeliehen und habe meinen Mann gebeten, mir den Kopf zu rasieren.

Das ist aber ziemlich radikal, oder?

Auf jeden Fall. Für mich war es aber eine regelrechte Erlösung. Ich weiß noch, wie die restlichen Haare auf dem Boden lagen, ich aufgestanden bin und mich im Spiegel angesehen habe. Von jetzt auf nachher war ich jemand anderer. Aber: Ich war plötzlich frei, ich konnte wieder atmen.

Und dann sind Sie so auf die Straße?

Nein (lacht) Auf keinen Fall! Das war die Entscheidung für mich alleine. Aber der Weg, bis ich mich tatsächlich mit meiner Glatze in der Öffentlichkeit zeigen konnte, dauerte noch eine ganze Weile. Ich hatte es in diesem Moment für mich akzeptiert, mich damit identifizieren konnte ich aber noch nicht.

Wann hat sich das dann geändert?

Ich weiß noch genau, wie ich mal im Supermarkt einkaufen war und es unter der Mütze dermaßen heiß war, dass mir fast schwarz vor Augen wurde. Da nahm ich sie einfach ab. Ich war überrascht, wie wenige mich schräg angestarrt haben. Danach hatte ich erst den Mut, die Mütze öfter mal abzunehmen.

Wie hat Ihr Umfeld auf den Haarschnitt reagiert?

Phänomenal. Mich haben wirklich alle unterstützt. Selbst meine Schülerinnen und Schüler waren unglaublich verständnisvoll. Als ich es ihnen erklärt habe, warum ich jetzt eine Glatze habe, wollten einige sie sogar anfassen. Andere fanden es irgendwie cool, jetzt eine Lehrerein mit Glatze zuhaben (lacht).

Da gibt es aber sicher auch andere Situationen, oder?

Oh ja – jede Menge. Das schlimmste sind einfach die vielen mitleidigen Blicke. Es ist bis heute ganz schwer, sich daran zu gewöhnen. Einige fragen dann auch ganz konkret, ob ich krank sei. Genau das ist es, was die unfassbar große psychische Belastung ausmacht. Man muss sich bewusst sein, dass man als Frau mit einer Glatze nicht mehr unauffällig sein kann.

Wie reagieren Sie dann darauf?

Ich sage dann meistens völlig entgeistert: „Nein, warum?“ Dabei vergesse ich immer öfter, dass ich ja eine Glatze habe. Häufig entsteht dann auch ein kurzes Gespräch, aber es gibt Tage, da nervt die Frage wahnsinnig.

Haben Sie auch positive Dinge erlebt?

Klar. Wenn ich ganz gut drauf bin, dann kann ich diese Mitleidsnummer sogar ausnutzen (lacht). Einmal habe ich in einem Restaurant mit meiner Familie einen Platz bekommen, obwohl es eigentlich voll war. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es auch Leute gibt, die deshalb freundlicher zu mir sind, weil ich eine Glatze habe.

Gibt es aber auch positive Erlebnisse ohne Mitleid?

Auch die gibt es tatsächlich. Wir waren mal am Wörthersee in einem Lokal. Als wir aufgestanden sind, sprach mich eine Frau an, die zu mir sagte, dass sie mich schon länger beobachte und mir die Glatze unglaublich gutstehe. Das sei ja auch irgendwie modern. Sie hatte ganz offensichtlich keine Ahnung, was dahintersteckt. Es war wohl ein ganz ehrliches Kompliment ganz ohne Mitleid!

Haben Sie auch mal an eine Perücke gedacht?

Nicht wirklich. Ich hatte die Möglichkeit, aber ich wollte das nicht. Eine Perücke wäre ja wieder so eine Art verstecken oder verkleiden. Und genau das wollte ich ja nicht mehr.

Was hat sich denn alles geändert, nach Ihrer Entscheidung?

Vieles. Ich habe unter anderem meinen kompletten Kleiderschrank verändert. Er ist viel farbiger geworden. Dadurch hat sich natürlich auch mein Stil verändert. Und dann ist es so, dass ich das Geld für den Friseur jetzt für Mützen, Kleider und Brillen ausgebe (lacht). Und man läuft natürlich ganz anders durchs Leben. Ich habe ein ganz anderes Selbstbewusstsein wie früher.

Die Fragen stellte Reiner Jäckle