Wenn Krieg herrscht, dann ist jeder Bereich des alltäglichen Lebens davon betroffen. Eine der am schwersten betroffenen Gruppen sind die Kinder. Beim Heranwachsen und Erwachsenwerden bleibt vor allem der soziale Aspekt dabei häufig auf der Strecke. Vor allem, wenn es Gebiete betrifft, in denen viele Raketen einschlagen. Kinder in vom Krieg zerstörten Städten wachsen aber dennoch heran und werden erwachsen. Sie haben aber nur selten eine Wahl, was sie machen. Der Alltag ist geprägt von Sirenen, sich in Sicherheit bringen und viel zu häufig davon, wie sie zusehen müssen, wie ihre Heimat oder sogar das eigene Haus bombardiert wird und im schlimmsten Fall sogar Freunde und Verwandte sterben.

Voller Spannung verfolgten die Kinder das Theaterstück und konnten so den Kriegsalltag wenigstens für kurze Zeit vergessen.
Voller Spannung verfolgten die Kinder das Theaterstück und konnten so den Kriegsalltag wenigstens für kurze Zeit vergessen. Bild: Sergey Panashchuk

Schwieriger Alltag

Auch in der ukrainischen Hafenstadt Odessa müssen Kinder dem Tod ins Gesicht sehen und erleben täglich immer mehr zerstörte Gebäude, auch wenn es im Vergleich zu Mariupol und Charkiw natürlich weitaus weniger schlimm ist. Dennoch beeinträchtigt der Krieg ganz immens den Alltag der Kinder, auch wenn viele Erwachsene versuchen, die Zeit ihrer Kinder so angenehm wie möglich zu gestalten.

So auch neulich, als Luftschutzbunker in der ganzen Stadt in spontane Kindertheater verwandelt wurden. Dort konnten Kinder wenigstens für ein paar Stunden den Krieg vergessen. Es ist aber nicht nur für die Kleinen eine willkommene Abwechslung, denn für die Schauspieler sind die Luftschutzbunker aktuell die einzige Möglichkeit aufzutreten, denn in Kriegszeiten sind alle Theater wegen möglicher Raketenangriffe geschlossen.

Bühne im Luftschutzbunker

So war es auch am vergangenen Samstag, als Schauspieler des Odessaer Kindertheaters in einen Luftschutzbunker in einem Poselok-Kotovsky-Viertel der Stadt aufgetreten sind. Sie haben den Kindern das Stück „Der Fäustling“ gezeigt. Das ukrainische Märchen handelt von einem einen Hasen, einen Frosch, ein Schwein, ein Wolf und einen Bären, die zusammen in einem Fäustling leben, den ein alter Mann im Wald zurückgelassen hat.

Oksana Burlay-Piterova ist die Leiterin des Kindertheaters von Odessa.
Oksana Burlay-Piterova ist die Leiterin des Kindertheaters von Odessa. Bild: Sergey Panashchuk

Thema Freundschaft und Teilen

Die Schauspieler haben das Stück der ukrainischen Realität angepasst. In ihrer Version war ein Eindringling gekommen, um den Tieren den Fäustling abzunehmen und die Tiere zu vertreiben. Für den Auftritt haben Freiwillige eine provisorische Bühne innerhalb des Luftschutzbunkers gebaut und sie ordentlich dekoriert. Und damit verschafften sie etwa 50 Kindern leuchtende Augen. Sie kamen mit ihren Eltern, um den schwierigen Alltag einmal hinter sich zu lassen. Sie verfolgten das Theaterstück voller Emotionen, es wurde gemeinsam gelacht und geweint und vor allem der Krieg vergessen – wenigstens für eine kurze Zeit.

Lage mit Theater erklären

„Ich arbeite jetzt seit 31 Jahren im Theater. Theater ist mein Leben“, sagte Oksana Burlay-Piterova, Leiterin des Kindertheaters von Odessa, nach der Vorstellung. „Für Kinder zu spielen ist sicherlich anspruchsvoller und schwieriger, aber es ist durchaus auch interessanter.“ Es sei großartig zu sehen, dass Kinder sich in die Show einbringen und partizipieren, was auf der Bühne passiert. „Sie waren so inspiriert von dem Stück“, schwärmt Oksana Burlay-Piterova. „Genau diese Verbindung gibt uns unglaublich viel Energie zurück.“ Außerdem könne man durch ein Theaterstück die aktuelle Lage den Kindern viel besser näherbringen. Deshalb habe man kurzerhand die Geschichte um den Eindringling erweitert – natürlich mit Happy End, denn er konnte am Ende erfolgreich vertrieben werden.

„Für meine Kinder ist es sehr wichtig, die Illusion von Normalität zu bewahren“, sagt Anna Lyubimaya, alleinerziehende Mutter von drei Kindern, die zweieinhalb, acht und 13 Jahre alt sind. „Nur der Kleine ist glücklich und lächelt wie immer.“ Die beiden älteren verstehen bereits, dass etwas nicht stimmt. „Viele ihrer Freunde sind bereits in andere Länder geflohen“, erzählt die 33-Jährige. „Sie haben mittlerweile niemanden mehr, mit dem sie spielen können, und sie können den Fliegeralarm nicht ignorieren.“

Auswirkungen vom Krieg

Der Krieg wirke sich auf ihren mentalen Zustand aus. Und bei den Geräuschen von Explosionen sei es teilweise noch schlimmer. Auch wenn Anna Lyubimaya ihre Kinder keine Nachrichten schauen lässt, wissen sie genau, was aktuell los ist. „Deshalb war ich sehr froh, dass das Kindertheater diese Aufführung angeboten hat“; sagt sie. „Das war auch eine Gelegenheit, mal mit anderen Kindern in Kontakt zu kommen.“

Das Odessaer Kindertheater zeigt das Stück „Der Fäustling“ in einem Luftschutzbunker.
Das Odessaer Kindertheater zeigt das Stück „Der Fäustling“ in einem Luftschutzbunker. Bild: Sergey Panashchuk

Abwechslung für die Kinder

Für den achtjährigen Sohn Radomir Lubimy war das Theaterstück etwas ganz Neues: „Es war sehr ungewöhnlich. Es war das erste Mal, dass ich ein Theaterstück im Luftschutzbunker gesehen habe“, sagte er. „Normalerweise gehen wir dorthin, um uns vor Raketen zu verstecken.“ Er vermisse die alten Zeiten, als „keine Raketen über unseren Köpfen flogen und ich die Nacht durchschlafen konnte“. Vor allem wegen der Sirenen, die nachts beginnen zu heulen, wache er und seine Geschwister regelmäßig auf. Diesbezüglich sorgte das Odessaer Kindertheater wenigstens für kurze Zeit für Abwechslung.

Dank an die Schauspieler

Svetlana Fedorova ist 43 Jahre alt und war mit ihrem Kind ebenfalls in der Vorstellung. „Vor dem Krieg haben wir oft das Kindertheater und das Puppentheater besucht“, sagt sie. „Jetzt sind die Theater zu und wir vermissen die Aufführungen.“ Als sie von dem Gastspiel im Luftschutzbunker erfahren habe, entschied sie sich sofort, mit ihrer Tochter hinzugehen. „Das Format der Veranstaltung hat mir sehr gut gefallen“, lobt Svetlana Fedorova. „Schließlich geht Sicherheit heutzutage vor. Man weiß nie, wo und wann eine Rakete einschlägt.“ Daher sei ein Luftschutzbunker eine hervorragende Lösung für eine Theateraufführung. „Vielen Dank an die Schauspieler. Sie bereiteten den Kindern richtige Freude und ermöglichen es, den Krieg zumindest für kurze Zeit zu vergessen“, sagte sie abschließend.