Homeoffice, Lockdown, Kontaktbeschränkungen – die Pandemie zerrt zunehmend an unseren Nerven. Das wirkt sich auch auf Beziehungen aus. Doch während es bei einigen Paaren zu Beziehungsproblemen aufgrund von Corona kommt, fühlen sich andere durch das gemeinsame Durchstehen der Krise gestärkt. Was machen sie anders? Und wie erleben eigentlich Singles die Pandemie? Paartherapeut und Single-Coach Eric Hegmann gibt Tipps, wie Paare Konfliktsituationen lösen können und berichtet, welche überraschenden Erfahrungen Singles derzeit beim Dating machen.

Mit welchen Schwierigkeiten wenden sich Paare derzeit an Sie?

Eric Hegmann: Manche Partner nerven sich, weil ihnen Rückzug fehlt – nicht nur räumlich, sondern durch Interessen. Der Charakter wird durch die Krise verstärkt. Einige Persönlichkeitseigenschaften, die früher einfach Züge oder Besonderheiten waren, mögen unter der aktuellen Situation an der Grenze zur Störung wirken – mit paranoiden Anteilen, wenn ein Partner Verschwörungstheorien konsumiert. Viele Wesenszüge wurden auch nur im Beruf ausgelebt. Mancher merkt: Meine Güte, wie redet mein Partner mit Kollegen? Das sind Einblicke, die schwer auszuhalten sind.

Eric Hegmann.
Eric Hegmann. Bild: Robert Hilton

Wie werden Konflikte ausgetragen?

Sehr häufig ist die Forderungs-Rückzugsdynamik. Das ähnelt einem Tanz, den ein Paar aufführt. Der eine tritt bei Konflikten fordernd auf. Er sucht Kontakt, um ein Problem zu lösen. Der andere zieht sich aus Angst zurück, was das Verhalten des anderen anheizt. Beide verstärken jeweils die Tendenz des Partners. Viele berichten auch, dass sie trotz räumlicher Nähe das Gefühl haben, der andere sei für sie nicht erreichbar. Das ist ein gemeines Gefühl, trotz Nähe einsam zu sein. Man kann auf engem Raum vor dem Partner flüchten, wenn man mauert. Der andere arbeitet sich dann daran ab. Ist diese Dynamik richtig in Schwung, wird es schwierig.

Hat sich die Art von Problemen bei Paaren seit dem ersten Lockdown verändert?

Wir sind alle dünnhäutiger oder frustrierter, und einige Paare stehen stark unter Druck, so dass es häufiger knallt. Die Themen sind die alten: Gibst du mir Anerkennung, respektierst du mich? Kann ich mich auf dich verlassen, liebst du mich? Hinzu kommen die Stressfaktoren Nähe oder die Rollenverteilung, etwa beim Homeschooling.

Parship hat in einer aktuellen Umfrage herausgefunden, dass mehr als jeder vierte vergebene Mann (27 Prozent) in der Pandemie mehr Zeit mit seiner Partnerin verbracht hat, als ihm lieb ist. Bei Frauen waren es 20 Prozent. Ein deutliches Warnsignal, dass die Beziehung hinterfragt werden sollte?

Zuerst einmal möchte ich den Blick darauf lenken, dass bei den anderen Paaren, der deutlichen Mehrheit, die Dankbarkeit groß ist, die Krise mit Unterstützung des Partners durchstehen zu können. Und letztlich ist das auch ein Geheimnis erfolgreicher Paare: die fokussieren sich auf das, was sie haben und die Möglichkeiten, die dadurch entstehen und arbeiten sich nicht an Dingen ab, die aktuell nicht möglich sind. Aber ja, bei dysfunktionalen Beziehungen, die Partner unglücklich machen, sollte diese und die Partnerwahl hinterfragt werden.

Bei einem Streit auf Abstand gehen, ist im Moment nicht so einfach. Was raten Sie Paaren, wie sie mit Konfliktsituationen umgehen können, wenn kein Raum für Abstand bleibt?

Bei einem Streit sollte man sich nicht mit Argumenten übertrumpfen, sondern versuchen, Verständnis zu wecken. Das ermüdet sonst und verpasst den Ursprung des Konflikts: unterschiedliche Bedürfnisse zur gleichen Zeit. Es geht nie um die Sachebene, es geht immer um die Emotionen, die damit verbunden sind. Deshalb ist es zwecklos, sich mit Argumenten zuzuwerfen.

Wie können solche Situationen entschärft werden?

Ich gebe oft einen Satz mit, der laut gesagt werden kann: Lass uns bitte so streiten, dass ich merke, dass du mich liebst. Das Gehirn ist bei Streit auf Angriff oder Starre gestellt und lässt die Empathie ganz aus dem Blick. Um weiterzukommen, müssen wir deeskalieren. Es ist viel getan, wenn man merkt, da steht mir jetzt wirklich wieder mein Partner gegenüber und nicht ein Feind, den ich bekämpfen muss.

Und wenn ein Streit doch eskaliert, es zu körperlicher Gewalt kommt?

Dann sollten Betroffene umgehend Hilfestellen aufsuchen. (Anm. d. Red: Hilfe gibt es unter anderem beim Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen unter 08000/116 016 oder bei der TelefonSeelsorge unter 0800/111 0 111)

Laut der Parship-Umfrage ist es bei einem Viertel der Paare aufgrund von Corona zu Beziehungsproblemen gekommen, jede zehnte Beziehung sei sogar an den Herausforderungen der Pandemie gescheitert. Lassen sich diese Zahlen wirklich auf die Pandemie zurückführen oder bringen die aktuellen Umstände nur vorhandene Probleme ans Licht, von denen sonst der Alltag abgelenkt hat?

Meine Beobachtung ist, dass Krisen wie ein Brennglas wirken. Paare, die zuvor schon erfolglos Konflikte ausgetragen haben, erlebten nun, dass sie sich eben nicht unterstützt haben und als Partner funktionierten, was vielleicht sonst erst später so deutlich geworden wäre.

44 Prozent der Paare gaben in der Parship-Umfrage an, dass sie der Lockdown noch mehr zusammengeschweißt hat. Welche positiven Schlüsse konnten diese Paare aus der Zeit ziehen? Und was können wir alle von ihnen lernen?

Ich rate: Guckt, was ihr aneinander habt. Dennoch gibt es unglückliche und dysfunktionale Beziehungen, bei denen man nicht empfehlen kann, in ihnen zu verharren. Getrennte sagen retrospektiv oft: Die letzten zwei Jahre hätte es nicht gebraucht.

Seit einem Jahr bestimmt die Pandemie unser Leben. Paare die sich erst in dieser Zeit gefunden haben, kennen noch keinen gemeinsamen Alltag ohne Corona-Einschränkungen. Welche Auswirkungen kann das auf die Beziehung haben?

Die meisten Paare erleben es als stabilisierend für ihre Beziehung, dass sie eben eine Krise gemeinsam durchgestanden haben, solche Erfahrungen schweißen Menschen zusammen. Und das schafft Optimismus, dass man auch die weiteren Veränderungen, die Paare eben sicher bewältigen werden müssen, auch wieder gemeinsam bewältigen kann.

Nicht nur für Paare stellt die Pandemie eine Herausforderung dar: Wer jetzt allein ist und sich einen Partner wünscht, hat es in Zeiten des Lockdowns nicht leicht. Mit welchen Sorgen wenden sich Singles jetzt an Sie?

Ich erlebe selbstbewusste und verzweifelte Singles: Manche genießen es, mehr Zeit für sich zu haben und sich zu ordnen. Andere leiden sehr unter Einsamkeit und Kontaktarmut und sehnen sich nach Nähe.

Durch die Pandemie hat sich die Partnersuche größtenteils ins Netz verlagert. Wie hat sich dadurch das Kennenlernen verändert?

Was mir auffällt: Die Art der Kommunikation beim Dating verändert sich. Die Chats sind tiefgründiger. Viele Singles klagen normalerweise, der Funke springe nicht über, und das Dating besitze den Charme eines Bewerbungsgesprächs. Die Leute verhalten sich so abfragend, um sich zu schützen. Wer dagegen wie jetzt durch Corona mit emotionaleren Fragen in einen Kontakt einsteigt, schafft andere Bedingungen, als wenn er Listen abfragt. Smalltalk wirkt nicht gegen Einsamkeit, wohingegen tiefere Gespräche uns verbinden. Dadurch könnte man sich auch schneller verlieben, denn Menschen wirken so eher sympathisch, als wenn sie nur drei gleiche Bands auf Spotify haben. Dafür hätte es zwar Corona nicht gebraucht – aber ich bin gespannt, ob jetzt haltbarere Beziehungen entstehen.

Das könnte Sie auch interessieren.

Haben Menschen, die bislang gerne Single waren, durch die Pandemie vermehrt den Wunsch nach einer festen Partnerschaft entwickelt?

Der Wunsch nach einer Beziehung, nach Kontakt und Begegnungen ist Menschen einprogrammiert. Die Bindungswilligkeit selbst sonst eher auf ihre Selbstbestimmung und Freiraum fokussierten Typen ist in der Krise erhöht. Ob das für die Bindungsfähigkeit ebenso gilt, muss sich zeigen, aber Corona stärkt nach meinen Beobachtungen die Bindungssehnsucht.

Die Fragen stellte Sarah Steen