Es geschieht Außergewöhnliches im Ländle: Seit Januar 2023 ist die Bürgerschaft aufgerufen, sich an einem Volksantrag zu beteiligen. Dabei geht es um das tagtägliche Wohl der Kinder in den Schulen. Die Schulverwaltung ist historisch hierarchisch organisiert und bedarf der Transformation. Die Bedarfe der Kinder stehen zu wenig im Vordergrund und die Schulen haben zu wenig Personal. Um zu erfahren, welche Lösungen der Volksantrag vorschlägt und welche Chancen bestehen, dass die staatlichen Schulen zu kinderfreundlichen, zeitgemäßen Bildungsorten werden können, hat der HSK bei der Mitinitiatorin Dagmar Schäfer aus Feldberg, nachgefragt.
Frau Schäfer, was ist überhaupt ein Volksantrag?
Wir in Baden-Württemberg haben das Recht, uns mit einem Volksantrag an den Landtag zu wenden. Anders als bei einer Petition, die eine Einzelperson stellen kann, müssen einen Volksantrag 0,5 Prozent der Wahlberechtigten (knapp 40 000) mit unterzeichnen. Dann muss sich der Landtag damit beschäftigen. Und die Bildungssituation in unserem Ländle duldet keinen Aufschub mehr. Unsere staatlichen Schulen brauchen flächendeckend eine personelle Standardausstattung, die Bildungsqualität umsetzbar macht. Wir sehen keine Aktivitäten des Kultusministeriums, die dem Ernst der Lage gerecht werden.
Wenn ich den Volksantrag unterschreibe, wofür setze ich mich ein?
Kindern wird der Aufenthaltsort Grundschule, vermehrt auch im Ganztag, zugewiesen. Also haben wir Fürsorge zu tragen, dass sie dort gut aufgenommen und versorgt werden können. Mit diesem Volksantrag kann sich jeder dafür einsetzen, dass alle Grundschulklassen mit zwei Lehrkräften ausgestattet werden. Das ist notwendig, weil das alte Konzept: „Eine Lehrkraft, eine Klasse, ein Raum, ein Bildungsplan“, längst überholt ist. Es wird weder dem einzelnen Kind noch dem erwünschten Bildungsniveau gerecht. Die Maßnahme bietet einen grundlegenden und trotzdem einfachen Lösungsansatz, der echte Abhilfe für die vielen aufgelaufenen Probleme bringen wird. Jedes Kind ist wichtig!
Was ist denn der Vorteil von zwei gleichzeitigen Lehrkräften im Grundschul-Klassenzimmer?
Alle beteuern, wie wichtig die Bildung gerade am Anfang ist. Werte wie Kindeswohl, Bildungserfolg, Persönlichkeitsentwicklung, Gemeinschaftsfähigkeit, Chancengerechtigkeit, Teilhabe für alle, Inklusion, Integration oder demokratische Bildung zu mündigen BürgerInnen fallen nicht vom Himmel. Wesentliche Werte können nur in Beziehung gelebt und entwickelt werden. Kinder brauchen dafür Ansprache und Lehrkräfte, die Zeit für sie haben. Im Tandem kann flexibel mit den Kindern gearbeitet werden und eine Feedback-Kultur entwickelt werden, außerdem können zielführende Kooperation, sowie Qualitätsentwicklung des Unterrichtes stattfinden. Nicht zuletzt wird der strukturell benachteiligte Grundschul-Lehrberuf durch vernünftige Arbeitsbedingungen so wieder attraktiv gemacht.
Warum nicht kleinere Klassen?
Das schließen wir aus zwei Gründen aus: 1. Da Räume ein limitierender Faktor sind, Schulen durch die Kommunen also nicht beliebig erweiterbar sind, und 2. die Vorteile gegenseitigen Vertretens und gemeinsamer Arbeit zweier voll ausgebildeter Lehrkräfte so nicht gegeben wären.
Warum fordern Sie über den Volksantrag auch eine sofortige, flächendeckende Personalplanung?
Erstens um den Lehrermangel für den Normalbetrieb in Zukunft zu beseitigen und zweitens um eine grundsätzliche Qualitätsverbesserung zu erreichen. Jeder Tag, an dem das nicht endlich in Angriff genommen wird, verursacht weitere Schäden. Das Bildungssystem und sein Personal sind bereits über den Grenzen ihrer Belastbarkeit. Es gibt keine Lehrerreserve für vorauszusehende Fälle, wie Krankheit, Schwangerschaft, Fortbildung, .. und es wurden viel zu wenige Lehrkräfte ausgebildet. Die Folge: Immer mehr nicht ausgebildete Kräfte müssen aushelfen. Wir haben Bildungsnotstand, obwohl seit Jahrzehnten (PISA, IQB) klar ist, dass zu viele Kinder und Jugendliche die Leistungsziele nicht erreichen und sich in der Schule nicht wohlfühlen. Der Lehrkräftemangel ist hausgemacht und trifft die Schwächeren besonders hart. Das Kultusministerium ist aber für gute Bildung aller Kinder im ganzen Land verantwortlich. Es gibt also keine Entschuldigung für den Personalmangel. Welcher Betrieb weiß die Zahlen sechs Jahre vorher?
Die Landesregierung beklagt den Personalnotstand und schreibt, dass sie mehr Hilfspersonal einstellen will und mehr Jugendliche ein Freiwilliges Soziales Jahr in den Schulen leisten sollen. Was halten Sie davon?
Der selbst verursachte Notstand in den Schulen kann mit Pädagogischen Assistenten und FSJ -Jugendlichen nur notgelindert werden. Die Lehrkräfte und Schulleitungen werden zwar froh sein, überhaupt „ zwei helfende Hände“ mehr im Klassenzimmer zu haben. Das ist in unseren Augen weitere Flickschusterei der Landesregierung auf Kosten von Kindern, zeitgemäßer Bildungsqualität und gesellschaftlichem Zusammenhalt. So versacken gute Bildung und auch die Schulentwicklung weiterhin im überlasteten Alltag!
Die Landesregierung kündigt „multiprofessionelle Teams“ und die „Sozialindexbasierte Ressourcensteuerung“ an?
Die Landesregierung hat im November 22 beschlossen, für mehr Chancengerechtigkeit in unserem Bildungssystem zu sorgen, weil der Bildungserfolg auch in BW noch viel zu sehr von der sozialen Herkunft abhängt. Mit diesen Maßnahmen kündigt man eine gezielte Entlastung und Förderung von Kindern an „Brennpunktschulen“ an. Aber: 1. Das sind lediglich Modellprojekte zur Erprobung an ca. 46 von rund 2500 Grundschulen im Land. Wenn dann vielleicht 2027 erste Ergebnisse geliefert werden, ist noch eine ganze Grundschulgeneration durch die Schule gegangen, ohne ein einziges Unterstützungsangebot erhalten zu haben. 2. Die Erprobungsschulen erhalten keine Lehrkräfte, sondern lediglich zusätzliche Geldmittel und sollen sich das Personal selbst suchen. Eine niederschwellige Zusammenarbeit mit multiprofessionellen Helferteams kann generell als qualifizierte Ergänzung dienen, ersetzt aber nicht den Qualitätssprung durch Lehrkräfte-Tandems in allen Grundschulklassen.
Sind Quereinsteiger die Lösung?
Wegen jahrelang fehlender, zielführender Personalplanung werden nun händeringend Quereinsteiger gesucht. Das hätte nicht passieren dürfen. Deswegen fordern wir eine sofortige Personalplanung , die in Zukunft transformative Bildungsqualität und genügend ausgebildete Lehrkräfte vorsieht.
Warum braucht es zwei Lehrkräfte in jeder Grundschulklasse?
Die Welt hat sich verändert, das Konzept Schule nicht. Im heutigen Schulalltag ist die Lehrkraft , die allein in der Klasse steht, mit zu vielen gleichzeitigen Aufgaben überlastet: Unterrichten, Regularien, Bewertung, Soziale Erziehung, Dokumentation, neue SchülerInnen integrieren, Inklusion, Elternarbeit,... Dazu kommen zu begleitende, unaufschiebbare Tagesprobleme der Kinder: ein Nasenbluten, umgefallene Trinkflaschen, Sorgen und Nöte, wie Trauer über den verstorbenen Opa, Streit,… Eine einzelne Lehrkraft hat zu wenig Luft alles Nötige zu bearbeiten, der Unterricht wird unterbrochen, die Beteiligten und ihre Motivation kommen unter Druck – Frust macht sich breit- und Zuversicht schwindet. Vieles bleibt auf der Strecke. Mit einer zweiten Lehrkraft im Klassenraum kann dagegen professionell, flexibel und zielorientiert zusammengearbeitet werden. Auf Bedarfe der Kinder kann eingegangen werden, eine Feed-Back-Kultur ist dann Standard, Kinder sind gemeint und ihre Lernmotivation wird angeregt und gestärkt. Probleme können also bearbeitet…, demokratische Werte gelebt, Teilhabe und Mitsprache.... erfahren werden. Eltern können das Vertrauen haben, dass ihr Kind sich gut verstanden weiß, sich in seiner Gruppe wohlfühlen kann und angeregt ist, sein Potential zu entfalten.
Können Sie uns erläutern, wie realistisch die Umsetzung der Doppelbesetzung für alle Grundschulklassen ist?
Fakt ist, dass im Bildungssystem bislang so knapp gewirtschaftet wurde, dass der Lehrkräftemangel zum Flaschenhals für Bildungsqualität geworden ist. Jeder Monat, den man abwartet, wird die Situation verschlimmern. Immer mehr überlastete Lehrkräfte werden ausfallen und der Anreiz, den Grundschullehr- Beruf zu wählen, wird weiter absinken. Deswegen braucht es einen sofortigen transparenten Personal-Stufenplan mit dem Ziel die Doppelbesetzung bis 2033 als Standard zu haben. Wir haben zwar einen „Abi-Knick“, aber auch viele Jugendliche, die noch nicht wissen, was sie beruflich machen wollen. Die Landesregierung kann mit der Maßnahme „Lehrkräfte-Tandems in allen Grundschulklassen“ ein klares Signal setzen und die Arbeitsbedingungen, dieses bis dahin strukturell benachteiligten Berufes, sensationell verbessern. Es geht also darum, die Attraktivität des Grundschullehr-Berufes zuvorderst durch den Aufbau professioneller Arbeitsbedingungen zu erhöhen. Es geht darum, Einstellungs-Kontingente zuzusagen, für das Grundschul-Studium zu werben, Studienplätze zu erhöhen und die nötigen Finanzmittel in den Landeshaushalt einzustellen. Ein Lehramtsstudium dauert 6-7 Jahre. Nur wenn die Bürgerschaft jetzt zusammensteht und qualitative Bildung für alle Kinder einfordert wird die Politik für eine Umsetzung sorgen.
Gibt es eine Vision hinter der Forderung des Volksantrages?
Ja, natürlich! Schulen nehmen kleine Kinder auf, heißen sie willkommen, bauen mit ihnen kleine Gemeinschaften auf, in denen sie ihr Potential in Ruhe und gut unterstützt entfalten können. In denen sie lernen, für sich einzustehen, neugierig mit der Vielfalt in der Welt umzugehen, Lernlust und Ausdauer zu entwickeln, von einander zu lernen, Konflikte gemeinsam aus der Welt zu schaffen und etwas für die Gemeinschaft beizutragen. Das bedeutet: Wegkommen vom überholten Konzept der Einzelkämpfer – und – Zeit haben für Selbsttätigkeit, Teamarbeit, Kooperation und problemlösendes Denken! Schulen erlangen Gestaltungshoheit; werden zu Kraftorten, die in einem lebendigen Bündnis mit Eltern und Ortschaft für alle Kinder stehen. Wir sehen darin die grundlegende Bildung zu Werten wie gelebte Vielfalt, Mitgefühl und Toleranz!
Warum sollen die Bürger die Anstrengung unternehmen und den Volksantrag unterschreiben?
Die reale Alltagssituation in unseren Schulen wird seit Jahren schön geredet und diese können ihrem Anspruch nicht gerecht werden. Die Bildungspolitik der vergangenen Jahrzehnte hat mit wesentlichen gesellschaftlichen Veränderungen nicht Schritt gehalten, sondern weggeschaut und allen Betroffenen ein hierarchisches „Weiter so“ – „Geht doch“ verordnet. Gute Bildung funktioniert so nicht! Veränderte gesellschaftliche Herausforderungen müssen zu der Frage führen, welche Bedingungen hergestellt werden müssen, damit alle Kinder ihr Potenzial im Schulunterricht planmäßig und effektiv entwickeln können. Unsere Gesellschaft und die Herausforderungen, die wir als belastbare Demokratie zu bestehen haben, brauchen gut gebildete und mündige Menschen. Nur durch den öffentlichen Druck von Bürgerinnen und Bürgern wird hier die nötige grundsätzliche Bildungs-Transformation zum Wohl aller Kinder in Gang kommen.
Wer kann den Volksantrag unterschreiben und wie wird gesammelt?
Jeder der berechtigt ist, den Landtag in Baden-Württemberg zu wählen, kann auf einem eigenen Formblatt unterschreiben – Wahlalter 16! Dieses muss später von der Heimatgemeinde beglaubigt werden (kostenlos). Man kann die Unterschriften aber auch unbeglaubigt an bestimmte Ansprechpartner abgeben.
Wie kann ich mithelfen, die Initiative vorwärts zu bringen?
Auch die kleinste Mithilfe ist erwünscht! Zum Beispiel durch Ansprechen des Themas im Familien- und Bekanntenkreis, durch Unterschreiben des Volksantrages, durch Weiterverbreiten über die Sozialen Medien. Wir arbeiten alle ehrenamtlich an diesem großen Ziel, dass unsere Bürgerschaft in BW ihre Kraft erkennt und demokratisch nutzt, um Kindern, Zukunft und Zusammenhalt unserer Gesellschaft wieder Auftrieb zu geben. Bitte, nehmen Sie sich eine Viertelstunde und rufen Sie unsere Webseite auf, unterschreiben Sie Ihr Formblatt und lassen Sie es uns zukommen. Es ist schön, zu erleben, wenn verantwortliche Menschen sich für ein Gemeinwohl-Ziel zusammentun.
#GUTE Schule JETZT
Infos und Formblatt zum Ausdrucken und händisch Unterschreiben unter:
www.laestigbleiben.de
Abgeben im Sesam, Titisee-Neustadt oder einsenden an:
Dagmar Schäfer, Schuppenhörnle 19, 79868 Feldberg