Herr Everke, wie geht es der Veranstaltungsbranche aktuell?

Johannes Everke: Das Publikum, die Künstler und auch die Veranstaltungsbranche sind natürlich überglücklich, nach der langen Corona-Zeit wieder das echte Konzertleben zu spüren. Aber Corona ist für uns noch nicht vorbei. Verschobene Konzerte finden jetzt zusätzlich zu denen statt, die der normale Konzertbetrieb anbietet – damit ist das Angebot eigentlich zu groß für die Nachfrage. Gleichzeitig geht die Nachfrage derzeit zurück, gerade auch weil viele Menschen angesichts Inflation, Corona und Energiekrise bei der Freizeitgestaltung sparen. Und die Preise steigen auch im Konzertbereich, was an Energiekosten genauso liegt wie am dramatischen Fachkräftemangel in der Branche.

Johannes Everke, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft e.V. (BDKV)
Johannes Everke, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft e.V. (BDKV) Bild: BDKV

Abgesehen davon ist das Veranstalten von Konzerten ab demnächst wirtschaftlich sehr riskant: Noch immer kann es passieren, dass Konzerte aus Corona-Gründen abgesagt werden müssen – nur gibt es ab Januar mit dem Auslaufen des Sonderfonds des Bundes keine Absicherung dieses Risikos mehr, weder von staatlicher Seite noch von den Versicherern. Kurzum: die Anzahl der Konzerte bewegt sich trotz der verschobenen Shows unter dem Niveau von 2019, rund 40 Prozent der angesetzten Konzerte werden derzeit wieder abgesagt und die Veranstaltungsbranche schaut mit Sorge in die Zukunft.

Wir als Verband sind deshalb mit den Unternehmen genauso im Gespräch wie mit der Politik, die uns während der letzten Jahre stark unterstützt hat. Gemeinsam müssen wir Lösungen suchen, die unter den Künstlern und den Konzertveranstaltern Zuversicht für ihre Lebensgrundlage stiften können.

Warum sind Musik- und Kulturveranstaltungen für Menschen wichtig?

Die Musik bringt Menschen zusammen. In der knisternden Atmosphäre des Konzerts entstehen Inspiration, Euphorie und Gemeinschaft. In den letzten Jahren haben wir alle gespürt, wie uns das gemeinsame Erleben, die Energie, das Tanzen gefehlt haben. Und wir haben uns in die kleinen Clubs, in die Konzertsäle und auf die Festivals geträumt. Aber noch etwas hat gefehlt, über das Berührende, das Erhabene, Erhebende und Identität stiftende hinaus: Die Kunst hat etwas zu sagen und kann damit Utopien und vielfältiges Zusammenleben gestalten, Mut machen und Zuversicht stiften. Gerade heute ist ihre Stimme wichtig, wenn unsere Gesellschaft von Krisen geschüttelt und durch Zwietracht im Inneren bedroht ist.

Welche Herausforderungen sind nun zu meistern?

Das sind tatsächlich viele Herausforderungen: Wir möchten unser Publikum wiedergewinnen, die Fach- und Nachwuchskräfte wieder aufbauen und mit den neuen wirtschaftlichen Risiken lernen umzugehen, denen unsere Unternehmen ausgesetzt sind. Das sind zum Beispiel die unabsehbaren Preisschwankungen durch Inflation, Energie- und Arbeitskosten, die die Planung des Kartenpreises zum Beispiel einer Europatournee zum Vabanque-Spiel machen: Man weiß heute noch viel weniger als jemals, was die Produktion eines Konzerts übermorgen tatsächlich kosten wird. Oder auch das bereits erwähnte Risiko, dass ein Konzert wegen Corona ausfällt und der Veranstalter dann auf den Kosten sitzenbleibt, während er gleichzeitig seine Ticketeinnahmen zurückerstatten muss. Auch die Künstler sind in unserem Fokus. Gerade der Nachwuchs, der sich zuletzt nicht durch Plattenverkäufe oder Streaming-Einnahmen über Wasser halten konnte und jetzt von der Flaute im Konzertleben am stärksten betroffen ist.

Und wie alle gesellschaftlichen Bereiche müssen wir als Arbeitgeber bessere Arbeitsbedingungen erreichen und sowohl auf als auch hinter der Bühne Gender Equality durchsetzen. Unsere Produktionen werden nachhaltiger werden und dabei wollen wir unsere Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit dazu nutzen, als Vorbild für andere zu wirken. Die Veranstaltungsbranche ist ja nicht nur der sechstgrößte Wirtschaftszweig in Deutschland, die Kulturveranstalter haben eine weit wahrnehmbare und wirkungsvolle Bühne (vgl.„Zähl dazu“ Studie der IGVW von 2021).

Wie wird sich die Veranstaltungsbranche in der Zukunft verändern? Gibt es Hybrid-Formate oder Kombinationen aus Hybrid- und Live-Event, die sich immer mehr auszeichnen werden?

Das Digitale ist längst in der Veranstaltungswirtschaft angekommen. Vor allem die vergangenen zwei Jahre haben digitalen und hybriden Formaten einen enormen Schub verliehen. Es hat sich gezeigt, dass einzelne Elemente des Live-Erlebnisses durchaus auch im virtuellen Raum stattfinden können und neue Möglichkeiten der Interaktion zwischen Künstlern und Publikum entstanden sind. Das geht nicht mehr weg und bietet sowohl Herausforderungen als auch Chancen und völlig neue Kulturformen. In London begeistert derzeit die Hologramm-Show „Abba: Voyage“ und öffnet ein Fenster in eine mögliche Zukunft. Auch im Metaverse entsteht eine Zukunft, die man anerkennen und aktiv mitgestalten muss. Aber das ganz klassische Konzerterlebnis wird bleiben, denn das unmittelbare Erleben in der Gemeinschaft ist einzigartig.

Es wird also auf ein Nebeneinander unterschiedlicher Konzepte und Formen hinauslaufen. Technische Innovationen schaffen ein noch breiteres Angebot und können dabei helfen, neue Zielgruppen anzusprechen.

Was wird sich Ihrer Ansicht nach nicht verändern?

Ganz sicher wird es immer Live-Konzerte vor Publikum geben. Menschen fühlen sich in Gemeinschaft wohler als alleine. Sie wollen gemeinsam Einzigartiges erleben, gemeinsam Neues entdecken, sich von der Atmosphäre anstecken lassen und Teil eines größeren Ganzen sein. Künstler müssen ihr Publikum spüren und wollen hautnah erleben, wie der Funke überspringt. Kulturveranstaltungen bleiben systemrelevant.