Seit 1996 bereits Roland Hilgartner die weltweit entlegensten Gebiete der Tropen. Auf seinen außergewöhnlichen Expeditionen, die zusammengenommen etwa fünf Jahre ergeben, dokumentierte er Tierarten, die bisher nur wenige Menschen in freier Wildbahn je zu Gesicht bekommen haben. Diese Bilder und jede Menge Geschichten dazu gibt es nun in seinem Buch „Das Geheimnis der Tränentrinker“. Wir haben mit dem Primatologen, Wissenschaftler und Forscher über sein Buch und die Bilder gesprochen.

Herr Hilgartner, mit Ihrem neuen Buch entführen Sie die Leser in die Tropen und bringen diese in Wort und vor allem farbenfrohen Bildern näher. Sind sie wirklich so bunt?
Sie sind es tatsächlich, vor allem die Tierwelt. Seien es die Paradiesvögel, der Rote Uakari mit seinem leuchtendroten Kopf oder der blauschwarze Baumsteigerfrosch.
Wie schaffen Sie es, solch beeindruckende Bilder zu fotografieren?
Es ist die Mischung aus langjähriger Erfahrung, Wissen über das Verhalten der Tiere und die Natur sowie Geduld, Geduld und nochmal Geduld. Ich möchte eben nicht nur Tiere fotografieren, sondern dabei auch ihr Verhalten dokumentieren. Dabei darf man sich keinen Druck machen, denn so etwas spüren die Tiere.
Wie lange dauert es, bis sie ein Bild haben?
Das ist ganz unterschiedlich. Für das Bild vom Paradiesvogel-Pärchen bin ich vier Mal in Papua gewesen, bis ich es hatte. Das Bild mit dem Madame Berthe‘s Mausmaki entstand auf 30 Metern Höhe in der Baumkrone in der Nacht. Ich kletterte in drei Saisons mindestens 30 Mal dort hoch, installierte jedes Mal zwei Blitze und wartete in der Nacht – und meine Geduld wurde belohnt.
Im Buch sind etwa 120 Bilder zu sehen. Was macht sie so außergewöhnlich?
Zum einen eben der Aufwand, wie sie entstanden sind, und zum anderen, dass viele Bilder zu sehen sind, wie man sie bislang noch nie gesehen hat. Auf den Bildern sind fast immer Verhaltensweisen zu sehen. Dazu zählen unter anderem das jagende Jaguar-Pärchen am Fluss und der Schimpanse, der seine Wunde mit Insekten versorgt. Solche Bilder gibt es ganz selten oder sind sogar einmalig. Das Buch ist voller exklusiver Bilder von Tieren in freier Wildbahn, die teilweise kurz vor dem Verschwinden oder bereits ausgestorben sind, wie beispielsweise der Madame Berthe‘s Mausmaki. Den kleinsten Affen der Welt hat man seit vier Jahren nicht mehr gesehen.

Was fasziniert Sie so an den Tropen, dass Sie regelmäßig in die Gebiete reisen?
Es sind die unbekannten Regionen, die eine magische Anziehungskraft auf mich haben. In den Tropen gibt es noch zahlreiche biologisch weiße Flecken auf der Landkarte, die kaum oder gar nicht erforscht sind. Wenn man da unterwegs ist, kann immer etwas Überraschendes passieren. Es kann aber auch sein, dass tagelang nichts passiert und man sich nur mit Moskitos und Blutegeln herumschlägt (lacht).
Das kann doch aber auch gefährlich werden, oder?
Ganz ehrlich: ich bin überzeugt, dass die größte Gefahr und das größte Risiko von Menschen oder Menschgemachtes ausgeht, so wie durch den Bürgerkrieg in der Zentralafrikanische Republik oder der Demokratischen Republik Kongo. Ebenfalls gefährlich sind klapprige Buschflieger und die Fahrt über schlammige Pisten. Da ich Verhaltensforscher bin, sehe ich die Tiere als die geringste Gefahr.

Gab es dennoch gefährliche Situationen im Urwald?
Natürlich gab es die. Erst im Dezember vergangenen Jahres war ich in Gabun. Dort gibt es sehr viele Waldelefanten, die man im Wald trotz ihrer Größe tatsächlich sehr schwer sieht. Wir wurden am Nachmittag von einem heftigen Regen überrascht. Normalerweise bleibt man dann stehen. Aber da es bald dunkel wurde und es dann noch gefährlicher geworden wäre, sind wir dennoch weitergelaufen. Und da passierte es: Plötzlich standen wir direkt vor einem Waldelefanten, der das nicht so toll fand und auf uns losrannte.
Was passierte dann?
Ich kann mich noch gut erinnern. Es war wie im Film Jurassic Park. Der Waldelefant trompetete wie verrückt, die Erde bebte unter seinem Gewicht und unsere dreiköpfige Truppe rannte in alle Himmelsrichtungen. Gott sei Dank startete der Waldelefant nur einen Scheinattacke und wir kamen alle mit dem Schreck davon. Ich werde das aber nie vergessen.

Sie haben in Madagaskar für Ihre Doktorarbeit geforscht, waren im Kongobecken, im Amazonas-Gebiet sowie im Malaiischen Archipel und auf dem indonesischen Teil von Neuguinea, den man Papua nennt. Haben Sie eine Lieblingsregion?
Puh, das ist ganz schwer zu sagen. Jede Region hat ihren eigenen Charakter. Mich faszinieren vor allem die möglichst unberührten Regionen, wie in Papua, wo man vom Meer bis auf die Berge durch nahezu intakten Regenwald gehen kann. Oder der Oberlauf am Amazonas, wo außer ein paar indigenen Völkern große Landstriche völlig unberührt sind. Auch Gabun, wo der Regenwald „der letzte Garten Eden“ genannt wird, weil es dort noch Pflanzen und Tiere in Hülle und Fülle gibt fasziniert mich.
Mit wie viel Gepäck sind Sie da in der Regel unterwegs?
Das ist total unterschiedlich. Meine Fotoausrüstung wiegt etwa 30 Kilo. Dann kommt noch ein Stativ hinzu. Wenn ich von einer Forschungsstation unterwegs bin, dann entscheide ich mich meistens für einen Teil der Ausrüstung. Auf Expeditionen mussnatürlich alles mit, da habe ich aber in der Regel auch noch Träger.

Und das andere Gepäck wie Kleidung, Proviant und ähnliches?
Apropos Kleidung bin ich absolut spartanisch. Im Urwald regnet es so viel, da wird alles automatisch ständig gewaschen (lacht). Wasser gibt es vor Ort ebenfalls genügend. Als Proviant ist Reis oder ähnliches dabei – und immer wieder auch eine Angel für frischen Fisch.
Und was für Schuhe tragen Sie?
Die besten Schuhe für den Dschungel sind Crocs. Wenn man durch Wasser und Sümpfe geht, trockenen die Füße sofort wieder ab. Außerdem sieht man gleich, ob Blutegel an den Füßen und am Bein sind. Ausnahme war ein Gebiet am Oberlauf des Amazonas. Dort war ich mit Gummistiefeln unterwegs, weil es dort besonders viele Schlangen gab. Die Stiefel bieten einen guten Schutz vor allem wenn man nachts unterwegs ist.

Das Titelbild zeigt Sie mit einem Stativ auf der Schulter im Wasser stehend. Es sieht so aus, als ob direkt hinter Ihnen ein riesiger Wasserfall ist. Ist das eine Bildmontage?
Nein, das war tatsächlich ein wirklich krasser Platz direkt oberhalb des Ivindo Wasserfalls, dem größten in Zentralafrika. Es hat eine Woche davor nur geregnet, dementsprechend stark war die Strömung. Es war nicht ohne, sich dahin zu stellen – aber super spektakulär. Deshalb ist es auch eher ein gequältes Lächeln von mir (lacht). Der Weg dorthin war bereits extrem.
Das Buch hat den Titel „Das Geheimnis der Tränentrinker“. Was hat es damit auf sich?
Der Tränentrinker ist ein Nachtfalter, der sich von der Tränenflüssigkeit von schlafenden Vögeln ernährt. Das war sicherlich eine meiner spektakulärsten Entdeckungen. Bis 2004 hat niemand gewusst, dass es so etwas überhaupt gibt.

Wie haben Sie ihn entdeckt?
Eher aus Zufall. Das war, als ich in Madagaskar für meine Doktorarbeit das Leben einer nachtaktiven Lemurenart erforschte. Ich beobachtete mehr als 300 Nächte lang Wieselmakis. Seit dieser Zeit erkenne ich jedes Tier dort an der Reflexion der Augen. Eines Nachts sah ich eine Reflexion, die ich nicht zuordnen konnte. Als ich nachgesehen habe, entdeckte ich einen Nachtfalter auf einem schlafenden Vogel, der seinen Rüssel in das Auge des Vogels steckte. Die nachfolgenden Untersuchungen bestätigten meine Vermutung.
Das Vorwort im Buch hat die US-amerikanische Schauspielerin Ashley Judd verfasst. Wie kam es dazu?
Ashley Judd kennen die meisten als Hollywood-Schauspielerin. Sie ist aber auch UNO-Botschafterin im Kongo und setzt sich sehr für den Naturschutz ein. Sie war auch schon in der Bonobo-Forschungsstation dort, in der ich auch war. Sie weiß, wie viel Aufwand es ist, solche Bilder zu machen. Als sie mich am Affenberg besuchte, fragte ich sie, ob sie nicht das Vorwort schreiben wolle. Ich war froh, dass sie sofort zugesagt hat.

Haben Sie ein Lieblingsbild in Ihrem Buch?
Auch dies ist ganz schwer zu beantworten. Aber ich denke, es ist das Bild des Madame Berthe‘s Mausmaki in der Baobab-Blüte. Alleine schon deshalb, weil es mir die Türe zum Verlag National Geographic geöffnet hat.
Ihr Buch ist auch in diesem Verlag erschienen. Wie wichtig war Ihnen das?
Ganz wichtig. Als ich die Zusage bekam, dass das Projekt klappt, war ich enorm erleichtert, denn zum einen wurden schon einige meiner Bilder dort gedruckt und zum anderen ist es auch eine Art Auszeichnung für mich, da der Verlag einen großen Namen in punkto Naturfotografie hat.

Sie setzen sich mit Ihrer Arbeit auch sehr stark für den Umweltschutz ein. Ein Kapitel beenden Sie mit dem Satz „Für ein Wunder ist es nie zu spät“. Benötigt es wirklich ein Wunder?
Ja, definitiv! Als Wissenschaftler muss ich sagen, dass es mir sehr schwerfällt, positiv zu bleiben, bei all dem, was in den vergangenen Jahren passiert ist. Ich denke, wir haben auch schon einige Kipppunkte überschritten, bei denen es keinen Weg zurück mehr geben wird. Aber: Den Kopf in den Sand zu stecken ist keine Option. Deshalb gibt es auch ein eigenes Kapitel mit dem Namen „Projekte der Hoffung“.
Die Fragen stellte Reiner Jäckle
Roland Hilgartner
Der 44-Jährige ist promovierter Biologe, der seine Doktorarbeit über das Verhalten der Wiesel-Maki schreib, eine Primaten-Art in Madagaskar. Seit 2006 ist er verantwortlicher Direktor des Affenberg Salem, Deutschlands größtes Affenfreigehege. Er lebt dort mit seiner Frau und den beiden Kindern. Als Wissenschaftler und professioneller Naturfotograf bereist er zudem seit mittlerweile mehr als 25 Jahren die entlegensten Gebiete der Tropen, um die dortige Wildnis zu porträtieren und Naturschutzprojekte zu unterstützen. In seinem Buch „Das Geheimnis der Tränentrinker“ erzählt er von seinen zahlreichen Expeditionen in die entlegendsten und unberührtesten Regionen der Welt und zeigt seltene Bilder, die es so noch nie gegeben hat.
Zum Buch
„Das Geheimnis der Tränentrinker – 5 Jahre auf Expedition durch die Dschungel unserer Erde“ von Roland Hilgartner, erschienen im National Geographic Verlag, 192 Seiten, etwa 120 Abbildungen, Hardcover, ISBN: 978-3-86690-819-2, Preis: 26,99.