Kinder treten beim Spielen manchmal auf Ameisen. Es ist für sie nur ein Spiel. Ameisen sind klein und scheinen deshalb nicht wichtig zu sein. Außerdem gibt es sowieso sehr viele davon. Also wen interessiert das überhaupt? Irgendwie hat es ein bisschen den Anschein, als seien die Ukrainer aus der Sicht der Russen so etwas wie Ameisen. Allerdings ist es ein widerliches Spiel, das viel zu oft mit dem Tod endet.

Ich persönlich fühle mich wie eine Ameise, die jeden Moment von einem vom Himmel fallenden Tod zermalmt werden könnte. Und das, weil ein Mann begonnen hat, etwas gewaltsam für sich zu beanspruchen, was ihm nicht gehört. Was ich mich frage: „Wer hat entschieden, dass wir als Ukrainer einfach keine Daseinsberechtigung mehr haben?“

Hier ist die Anlage vom Luxushotel „Grande Pettine“ in Odessa zu sehen. Im Vordergrund der zerstörte Teil.
Hier ist die Anlage vom Luxushotel „Grande Pettine“ in Odessa zu sehen. Im Vordergrund der zerstörte Teil. Bild: Sergey Panashchuk

Ein Teil dieses Textes wurde in der winzigen Lobby einer kleinen Wohnung geschrieben, in der sich meine 75-jährige Mutter, meine Katze und ich gemäß der „Regel der zwei Wände“ vor russischen Raketen verstecken. Diese besagt, dass zwischen einem selbst und dem Fenster mindestens zwei Wände sein sollten, um zu verhindern, dass man von einem Glasscherbenregen überschüttet wird, wenn die Druckwelle eines Raketeneinschlages das Gebäude erreicht. Natürlich hilft es nichts, wenn die Rakete direkt in das Haus einschlägt.

Am vergangenen Wochenende erlitt Odessa den massivsten Raketenangriff seit Kriegsbeginn. Am Samstag wurden zehn Raketen auf unsere Stadt abgefeuert, am Sonntag neun. Die Marschflugkörper trafen ein Handelsunternehmen, das Möbel und Fensterscheiben herstellt, ein Hotel, das nahe am Meer steht, und ein Dorf in der Nähe von Odessa und zerstörten Dutzende von Häusern. Andere trafen die kleine Stadt Artsyz in der Region Odessa und zerstörten Wasserleitungen und Elektrizitätswerke, wodurch Tausende von Menschen ohne Strom und Wasser zurückblieben.

Hier ist der zerstörte Bereich vom Luxushotel „Grande Pettine“ in Odessa zu sehen.
Hier ist der zerstörte Bereich vom Luxushotel „Grande Pettine“ in Odessa zu sehen. Bild: Sergey Panashchuk

Am Samstag, während des ersten Angriffs, riefen kleine Kinder, die auf der Straße spielten: „Schau, da ist eine Rakete am Himmel!“ Der Marschflugkörper am Himmel sieht nicht besonders groß aus. Es ist nur ein schwarzes Ding, das sich sehr schnell bewegt und donnerartige Geräusche in alle Richtungen verbreitet. Ein paar Sekunden, nachdem die Rakete außer Sichtweite war, erschütterte ein Explosionsgeräusch die Nachbarschaft. Sofort danach erklang das immer noch unheimliche Geräusch einer Luftalarmsirene.

Der Autor Sergey Panashchuk lebt selbst in Odessa.
Der Autor Sergey Panashchuk lebt selbst in Odessa. Bild: privat

Eine Rakete am Himmel

Kinder rannten schreiend nach Hause. Diesmal hatten sie Glück. Diesmal traf es ihr Zuhause nicht. Andere hatten nicht so viel Glück. Zum Beispiel die Menschen, die in der Nähe dieser Möbel- und Fensterfabrik wohnen. Von 255 Wohnungen in diesem Gebiet waren nach der Explosion die Fensterscheiben zerborsten. Viele Menschen, die in der Nähe leben, haben sich entschieden, nun doch aus ihrer Heimat zu fliehen, weil sie befürchten, dass die Russen den Angriff wiederholen könnten. Und das nicht unbegründet, denn sie fliegen über die Ukraine und verbreiten Angst, Tod und Zerstörung.