Russisch ist meine Muttersprache, es wird von meiner ganzen Familie gesprochen. Die russischen Schriftsteller Tschechow und Dostojewski sind mir die liebsten. In seiner langen Rede vor der Besetzung der Ukraine sagte Russlands Präsident Wladimir Putin, der Zweck der Operation sei es, die Russen vor einer Art Völkermord zu retten. Ich verbinde mich nicht mit einer Nationalität, ich spreche Englisch und natürlich auch Ukrainisch. Ich bin ein menschliches Wesen und ich bekenne mich zu menschlichen Werten. Gemeinheit, List und Böses haben keine Nationalität. Sie werden von Menschen aller Nationalitäten begangen.

Fassungslosigkeit

Der erste Tag des Krieges hat mich einfach fassungslos gemacht. Keiner der Ukrainer glaubte an einen groß angelegten Angriff Russlands. Es ist purer Wahnsinn. An diesem Donnerstagmorgen wache ich um halb sechs Uhr morgens auf und überprüfte wie gewohnt meine üblichen Nachrichtenkanäle. Die Schlagzeilen sind widerlich: Russland bombardiert Kiew, Charkiw steht in Flammen. In den ersten Stunden konnte ich mich überhaupt nicht erholen. Dann hörten wir Explosionen in Odessa, sie waren überall in der Stadt zu hören. Russische Raketen sprengten die militärische Infrastruktur. Es gab Brände in verschiedenen Teilen der Stadt, ein Teil wurde von der Polizei und der Armee abgesperrt.

Ein Paradoxon

Niemand hat mir je verboten, russisch in der Ukraine zu sprechen. Die ukrainischen Behörden haben nicht versucht, mich zu töten. Und hier ist das Paradoxon, dass Putin meine überwiegend russischsprachige Stadt Odessa bombardiert, um russischsprachige Menschen vor dem Völkermord zu retten. Eine solche Rettungsaktion von ihm kann mich und meine russischsprachige Familie, russischsprachigen Verwandten sowie russischsprachigen Freunde töten. Pro-russische Saboteure hinterlassen leuchtende Markierungen auf Straßen und zivilen Gebäuden, die durch Raketen- und Bom-
benangriffe anvisiert und angegriffen werden. Putins Bomben und Raketen trafen Kindergärten, seine Soldaten sprengten Krankenwagen in die Luft.

„Blutige Tränen“

Was ist los? Es ist eher ein Genozid als eine Rettungsaktion. Mütter gebären Kinder in Luftschutzbunkern in Kiew, Menschen leben praktisch in Luftschutzbunkern in Charkiw. Hör auf! Jeden Tag sterben immer mehr Zivilisten, Infrastruktureinrichtungen werden zerstört. Menschen bekommen tiefe emotionale Wunden, verlieren ihre Lieben. Soldaten auf beiden Seiten sterben. Die Ukraine und Russland weinen blutige Tränen. Hören Sie unsere Hilferufe, solange wir noch am Leben sind und sprechen können.