In einem Krieg lernen die Menschen jede Menge neuer Dinge. Vor dem Krieg wussten wohl nur die wenigsten, dass der sicherste Ort in einer Wohnung ein Vorraum ist. Ein Raum zwischen zwei festen Wänden und vor allem ohne Fenster. Wer sich da aufhält, schützt sich am effektivsten vor umherfliegenden Glasscherben, falls die Fenster von einer Druckwelle getroffen werden, die von einer Detonation ausgeht. Die meisten Verletzungen erleiden Zivilisten tatsächlich durch genau solche herumfliegenden Glasscherben.
Luftschutz-Sirenen
Eine andere Sache, mit der man lernt umzugehen, ist der Ton der Luftschutz-Sirenen. Diese ertönen in der Regel nach dem Einschlag einer Rakete. So wie am vergangenen Sonntagmorgen in Odessa. Mittlerweile sind mehr als 40 Tage seit Kriegsbeginn vergangen. Die Luftschutz-Sirenen wurden für die Einheimischen zu einer ziemlich alltäglichen Sache. Jedenfalls für diejenigen, die in der Stadt geblieben sind.
Während der ersten Woche eilten nahezu alle zu den Notunterkünften, nachdem sie dieses schreckliche Geräusch gehört hatten. Aber im Laufe der Zeit machten die meisten Menschen einfach mit dem weiter, was sie vor dem Ertönen der Sirenen taten. Das lag daran, weil es in Odessa nur am ersten Kriegstag hörbare Explosionen gab. Es gab ein paar weitere Explosionen in den Vororten von Odessa, aber es war bei weitem nicht so heftig wie in Charkiw oder Kiew.

Explosionen in Odessa
Auf jeden Fall bis zum vergangenen Sonntag, als am frühen Morgen des 1. April die ganze Stadt von einer Serie von Explosionen erschüttert wurde. Und plötzlich wurde vielen unmittelbar bewusst, dass Krieg herrscht – und dass man doch versuchen sollte, sich in einem Vorraum ohne Fenster zu verstecken. Erst am Nachmittag meldeten lokale Behörden, dass die russischen Raketen das Öllager getroffen haben.
Es war zu diesem Zeitpunkt bereits ganz offensichtlich, denn tiefschwarze Rauchwolken bedeckten den Himmel und machten den Tag fast zur Nacht. Die Behörden drängten die Bewohner von Odessa, ihre Fenster zu schließen und nicht mehr nach draußen zu gehen, um die giftigen Dämpfe nicht einzuatmen.
Erschrecken und zerstören
Glücklicherweise gab es in der Hafenstadt Odessa nach dem Angriff kaum Verletzte. Eine Person, die sich im Gebiet des Öldepots aufgehalten hatte, wurde verletzt und die Fensterscheiben eines naheliegenden Wohnblocks wurde zerstört. Der Angriff auf die Ölanlagen ist Teil der russischen Taktik, die darauf abzielt, das industrielle und militärische Potenzial der Ukraine zu zerstören. Putins Armee greift Öllager und Militärbasen im ganzen Land an. Ein weiteres Ziel der Russen ist es, die Ukrainer zu erschrecken und ihnen zu zeigen, dass es im ganzen Land keinen sicheren Ort mehr gibt, der vor Luftangriffen geschützt ist.

Blogger verhaftet
Kürzlich haben die ukrainischen Behörden ein neues Medien-Gesetz verabschiedet, das Bürgern verbietet, die Folgen russischer Luftangriffe zu filmen und zu fotografieren. Damit möchte die ukrainische Regierung die russische Armee daran hindern, deren Ziele noch besser anpassen zu können, damit die Raketen ihre Ziele noch treffsicherer erreichen.
Auf der einen Seite ist das natürlich verständlich, auf der anderen Seite macht es die Arbeit für die Journalisten in Odessa und der Ukraine enorm schwer. Zwei Blogger aus Odessa, die ein Video des getroffenen Öldepots ins Internet gestellt haben, wurden vom ukrainischen Geheimdienst festgenommen. Ihnen drohen unglaubliche 15 Jahre Gefängnis, sollten sie für schuldig befunden werden.

Journalist ausgewiesen
Es hat aber auch schon einen europäischen Journalisten getroffen. Der Niederländer Robert Dulmers, der eine offizielle militärische Akkreditierung der Ukraine besaß, hat ebenfalls Bilder und Videos vom brennenden Öllager in Odessa gemacht und veröffentlicht. Die Reaktion war für den Mitarbeiter des „Nederlands Dagblad“ äußerst außergewöhnlich, denn er wurde zunächst festgenommen, seine Akkreditierung entzogen und später des Landes verwiesen. Für den Niederländer kommt es aber noch härter, denn er wurde auch noch für die nächsten zehn Jahre zur „Persona non grata“ erklärt.
Zehn Jahre Einreiseverbot
Robert Dulmers schreibt selbst zu diesem Vorfall, dass er am 3. April von zwei Männern „mit vorgehaltener Waffe“, die sich nicht auswiesen, festgenommen worden sei. Er darf nun zehn Jahre lang nicht mehr in die Ukraine einreisen, weil er angeblich Staatsgeheimnisse preisgegeben habe. Der Journalist sei an der ukrainisch-moldawischen Grenze abgesetzt worden. Danach fuhr er mit seinem Auto nach Rumänien.

Journalisten haben es schwer
Das neue Medien-Gesetz macht das Arbeiten der Journalisten in der Ukraine nicht einfacher, um nicht zu sagen fast unmöglich. Denn es geht nicht ganz konkret daraus hervor, was fotografiert und gefilmt werden darf und was nicht. Es geht wohl um den Begriff „Nachwirkungen“. Wenn nun aber eine Industrieanlage, eine Militärbasis oder auch ein Wohnhaus mit Zivilisten getroffen wird, dann sind auf Aufnahmen davon eigentlich immer solche „Nachwirkungen“ zu sehen und können damit ernsthafte Probleme mit dem Gesetz verursachen.
Was die Journalisten und Blogger vor Ort in Odessa allerdings doch etwas stutzig gemacht, ist, dass während im Land Journalisten und Blogger wegen der Veröffentlichung solcher Bilder verhaftet wurden, große westliche TV-Medienkonzerne genau diese vom brennenden Öllager aber gezeigt haben – übrigens auch im Internet. In diesem Fall natürlich folgenlos.